Pizzablues

Vermutlich fragt man sich bei dieser Überschrift: Ist das was zu essen? Eine neue Musikrichtung aus Italien?
Dazu kann ich sagen: Weder noch!

Mit dem Word Pizzablues beschreibe ich den Zustand in den ich gerate, nachdem ich das tue, was Millionen von Menschen tun können, ohne dem Pizzablues zum Opfer zu fallen – ich bestelle Pizza.

Nun wird man sich vielleicht fragen: Sie bestellt Pizza und bekommt davon den Blues? Komische Frau!!!
Dazu kann ich sagen, dass das Bestellen an sich noch nicht das Problem darstellt, sondern der Verzehr der Pizza, wenn sie denn dann geliefert wurde.
Immer noch komische Frau! Wer bekommt denn bitte von Pizzaessen den Blues?
Na ich….genau wie 0,2 Prozent aller Deutschen, die an Zöliakie leiden.

Zöliakie? Was ist das denn?
Zöliakie ist eine Krankheit, bei der die Betroffenen an einer Unverträglichkeit des Getreidebestandteils Gluten. Dagegen gibt es leider keine Medikamente. Nur eine glutenfreie Diät kann einem als Betroffener helfen und das heißt: kein Weizen, kein Roggen, keine Gerste, kein Hafer und kein Dinkel und somit keine Produkte, wo eine dieser Getreidesorten verarbeitet wurde.

Na, wenn man das weiß, wieso tut man es dann nicht und bestellt Pizza?
Tja, ich tu es ja. Zumindest die meiste Zeit. Aber alle paar Monate überfällt mich der Drang nach ‚richtiger‘ Pizza.
Pizza, die schmeckt wie ‚richtige‘ Pizza und die ich nicht selbst gemacht habe.
Pizza, die nicht doppelt bis dreifach so viel kostet, wie ‚richtige‘ Pizza, die von einem freundlichen Lieferanten (na ja gut, da muss man schon auch manchmal Abstriche machen 😉 ) bis zu meiner Wohnungstür gebracht wird und die ich mir mit anderen Menschen teilen kann, ohne mir anhören zu müssen, dass das irgendwie anders/komisch/scheiße schmeckt.
Und ich muss sagen, wenn ich mich bewusst dafür entscheide, zu ‚sündigen‘, geht es mir gar nicht soooo schlecht, was die richtigen körperlichen Symptome angeht (die Einzelheiten spare ich mir mal 😉 ). Aber den Blues in Form von schlechter oder gedrückter Laune bekomme ich schon – mal stärker, mal schwächer. Und natürlich weiß ich, dass es besser wäre, vernünftig zu sein und auch auf die zwei Pizzas im Jahr zu verzichten.

Anders sieht es aus mit dem Blues aus, wenn ich aus Versehen etwas erwische, was ich eigentlich nicht essen darf.
Dann bleibt komischerweise der schlimmste Blues aus, dafür sind die direkten körperlichen Beschwerden ziemlich durchschlagend und direkt greifbar.

So ging es mir am Samstag. Ich war mit ein paar ehemaligen Klassenkameraden unterwegs und habe in einem Restaurant einen Salat gegessen, den ich dort schon ein paar Mal zuvor bestellt und ohne Probleme gegessen hatte.
Ich weiß nicht genau, was am Samstag das Problem war, aber ungefähr zwei Stunden nach dem Essen habe ich gemerkt, dass irgendwas im Busch ist und wieder eine Stunde später, ging es dann richtig los. Das ist besonders schön, wenn man unterwegs ist und mit öffentlichen Verkehrsmitteln nach Hause fahren muss.
Die Symptome sind bei uns Zölis stellenweise recht unterschiedlich.

Ich kämpfe zum Beispiel immer mit schlimmer Übelkeit und so stand ich am Samstag am Bahnhof, wartete auf meinen Zug und schickte ein Stoßgebet zum Himmel, mit der Bitte darum, stark riechende Menschen großräumig umzuleiten.

Leider scheint der für mich zuständige Gebetsannehmer am Samstag beim Fußballkucken gewesen zu sein, denn zielsicher ließ sich eine Dame neben mir nieder, die einen extremen Geruch verströmmte.
Da die Bahn voll war und ich nicht dafür garantieren konnte, daß ich die 40 Minuten Fahrt nach Hause im Stehen bewältigen könnte – meine Beine hatten sich zwischenzeitlich in Pudding verwandelt – blieb ich wo ich war, schloss die Augen und versuchte mich einfach aufs Atmen zu konzentrieren.

Das hat soweit ganz gut funktioniert (ich habe mich nicht übergeben), aber auch dafür gesorgt, dass das Gefühl, das ich seit circa 14 Tagen nur unterschwellig mit mir herumgetragen hatte, weil ich extrem mit anderen Dingen beschäftigt war, wieder ans Licht kam….Trauer.

Bis zum 12.6.2012 war ich nicht der einzige Zöli im Haus. Mein Vater war auch betroffen.
Wir haben selten über die Krankheit gesprochen, uns selten ausgetauscht, weil große Worte nicht seine Sache waren.
Aber er wußte, wie es ist, wenn man auf etwas Hunger hat, was man eigentlich nicht essen darf und zwischen dem Verlangen danach und dem Wissen, daß man leidet, wenn man es doch isst, hin und her schwankt.
Er kannte die Tage, an denen man genervt war, anderen Leuten dabei zusehen zu müssen, wie sie ’normale‘ Dinge essen.
Und er hat mit mir neue Produkte ausprobiert und die Nase über die Sachen gerümpft, die nicht geschmeckt haben.

Noch Anfang Mai als er zum letzten Mal im Krankenhaus lag, haben wir zusammen neue Muffins gegessen und uns darüber gefreut, daß es wieder ein neues Produkt gibt, das gut schmeckt und etwas Abwechslung für die Geschmacksnerven bringt.
Nun ist auch das Vergangenheit.

Mein Umfeld ist zum größten Teil sehr verständnisvoll, aber als Betroffener wußte Papa eben besser wie es mir damit geht und ich mußte nicht viel erklären. Mußte nicht lang und breit darüber diskutieren, wie es sein kann, daß man nach einem einfachen Salat zwei Tagen in den Seilen hängt und sich fühlt wie vom Bus überfahren…er WUSSTE es einfach…

Wie selbstverständlich es immer war, zu sagen: ‚Mein Papa und ich…‘ wenn es um Zöliakie ging, ist mir erst am Samstag in der Bahn, als es mir so schlecht ging, richtig klar geworden.
Außerdem ist mir klar geworden, daß auch die Zöliakie auf die Liste der für immer unausgesprochenen Dinge zwischen uns gehört. Ich habe ihm nie gesagt, daß ich wußte, daß er sich die Schuld an meiner Zöliakie gegeben hat (die Anlage zu der Krankheit wird vererbt). Ich habe ihm nie gesagt, daß ich ihm nie, nichtmal in Gedanken, Vorwürfe deswegen gemacht habe.
Wenn ich hadere, dann mit dem Schicksal oder dem Universum, aber nie mit Papa. Für mich war er nie der Schuldige an meiner Zöliakie, sondern immer der Mensch, der wußte wie es mir damit geht.

Nun ist diese Krankheit, die ich schon so oft verflucht habe, seitdem sie ausgebrochen ist, eins der Bindungsglieder zwischen uns beiden, mit dem viele Erinnerungen verbunden sind und das mich oft an ihn erinnern wird.
Komisch, wie sich innerhalb eines Zeitraums im Leben die Blickwinkel ändern können und man selbst etwas eigentlich Negativem etwas Gutes abgewinnen kann.

Der nächste Pizzablues jedenfalls wird bestimmt kommen….allerdings weiß ich nicht, ob ich in nächster Zeit freiwillig mal wieder Salat im Restaurant bestellen werde 😉

Und nur um noch kurz zu zeigen, daß ich am Samstag trotz leichter bis mittelschwerer gesundheitlicher Problemchen nach dem Verzehr des doofen Salat auch Spaß hatte, möchte ich euch noch schnell ein Bild zeigen, das ich beim Bootchen fahren auf dem Main vom größten Apfelweinglas der Welt (so nennen die Frankfurter dieses Hochhaus wegen der Fasade, die geriffelt wie ein Apfelweinglas ist) bei Abendstimmung gemacht habe.

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17 Antworten zu Pizzablues

  1. nettebuecherkiste schreibt:

    Ach du Arme! Das mit deinem Papa tut mir leid. Ich hab selbst noch kein Elternteil verloren, aber ich kann mir schon vorstellen, wie schlimm das ist.
    Zöliakie ist echt fies. Gibt es nicht irgendwas, was du vorsorglich einnehmen kannst, wenn du weißt, dass du eine Pizza oder sowas essen möchtest? LG Anette

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  2. Herba schreibt:

    Danke Dir :*

    Nein leider nicht. Sowas gibt es gegen Laktoseunverträglichkeit, aber bei Zöliakie hilft nur Verzicht und das ist manchmal gar nicht so einfach. Aber ich ‚übe‘ nun ja schon seit über 11 Jahren und es gibt sowieso schlimmere Krankheiten 😉

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  3. Herba schreibt:

    Ich bin damit halt auch nicht so sonderlich kommunikativ, will heißen normalerweise müßte ich immer, wenn ich irgendwo auswärts esse mit dem Koch genau absprechen was geht und was nicht und das versuche ich halt zu umgehen, weil man teilweise eben auch Unverständnis erntet, so nach dem Motto: Stell dich halt nicht so an…aber das war seit langem das erst Mal ein Reinfall, also verbuche ich es unter Erfahrung und mach nen Haken dran 🙂

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  4. nettebuecherkiste schreibt:

    Solche Reaktionen sind aber echt fies. Kann mir vorstellen, dass das gar nicht einfach ist. Ja, genau, abhaken 🙂

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  5. Die Pö schreibt:

    Oh das wunderwunderschöne Frankfurt 🙂
    wir Zölis klingt trotz allem was damit zusammenhängt lustig.
    Ich drück dich!

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  6. Phönix schreibt:

    😦 Fühl dich mal umarmt

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  7. Servetus schreibt:

    Ganz besonders schlecht, in Deutschland aufzuwachsen und Zöliakie zu haben — und damit auf das meiste Brot verzichten zu müssen. Du Arme.

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  8. Herba schreibt:

    Ja gelle, das Licht war aber auch wunderschön und die Bande wiederzusehen sowieso – auch wenn wir sehr dezimiert waren!
    Ich weiß und so lange ich über bestimmte Dinge noch lachen kann, ist alles sowieso nur halb so schlimm 🙂

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  9. Herba schreibt:

    Danke! :*

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  10. Herba schreibt:

    Zum Glück war ich schon Anfang 20, als die Zöliakie bei mir festgestellt wurde und das Angebot an glutenfreien Nahrungsmitteln ist in den letzten 10 Jahren um ein Vielfaches besser geworden – selbst Supermärkte haben mittlerweile glutenfreie Produkte im Sortiment. Aber einfach ist für mich nach wie vor was anderes…

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