Man and Superman (National Theatre London live)

Am letzten Donnerstag gab es im Kino meines Vertrauens mal wieder eine NTlive-Übertragung und nachdem meine Begleitung und ich uns bei Cocktails/Bier über winkende Büsche, irische Stockbetten, starrende Typen und den Arbeitsalltag von unterbezahlten Angestellten unterhalten hatten, ging es gestärkt ab in den Kinosaal, wo George Bernard ShawsMan and Superman‚ gezeigt wurde.

Und darum geht es:
Jack Tanner (Ralph Fiennes), steinreicher Junggeselle und radikaler, gefeierter Denker wird von seinem verstorbenen väterlichen Freund Whitefield dazu ausersehen Vormund seiner fast erwachsenen Tochter Ann (Indira Varma) zu werden.
Dieses wichtige Amt soll sich Jack mit dem alten, konservativen Familienanwalt Ramsden (Nicholas Le Prevost) teilen, den Jack nicht sonderlich gut leiden kann.
Schon allein daher möchte er das Amt ablehnen, aber Ann setzt sich durch und nicht nur das. Sie hat sich in den Kopf gesetzt Jack statt ihren zahmen Verehrer Octavius (Ferdinand Kingsley) zu heiraten.
Als Jack den Braten riecht, flieht er im Auto aufs Festland und eine wilde Jagd beginnt, bei der selbst der Teufel (Tim McMullan) mitmischt…

Eigentlich informiere ich mich ja vorm Besuch von englischen Theaterstücken immer vorher wenigstens ein bißchen über das Stück, aber von ‚Man and Superman‘ wußte ich nur, daß es lange geht, Ralph Fiennes die Hauptrolle spielt und wahnsinnig viel geredet wird.

Das mit dem viel reden stimmt, aber die erste Hälfte ist nicht nur, aber auch wegen Ralph Fiennes wahnsinnig kurzweilig und amüsant.
Fiennes wirbelt über die Bühne, redet viel und schnell und versprüht seinen Charme, egal ob er mit Ramsden diskutiert, Octavius bemitleidet, dem er als Ehemann von Ann ein Ende wie einem Spinnenmännchen vorhersagt oder mit Ann streitet und sie mit einer Boa Constrictor vergleicht, die sich an ihre Beute anschleicht, ohne dass diese es merkt und sie dann in ihrer Umarmung erwürgt.
Da hat der Gute noch nicht realisiert, daß ER von Ann als Beute ausersehen wurde.

Indira Varma ist als Ann zauberhaft, gerade weil sie in einer Minute wie ein unbedarftes Mädchen und dann wieder wie ein stahlharter Geschäftsmann agiert. Ich war zwar bei ihrem ersten Auftauchen auf der Bühne etwas irritiert, weil sie da sehr, sehr kindlich agierte, aber da ich mal vermute, daß auch Jack eigentlich jünger ist, als Fiennes aussieht, paßt das dann letztendlich vom Aussehen der beiden Schauspieler doch gut zusammen und auch im Können nehmen sie sich wenig, auch wenn natürlich Fiennes der Star des Castes ist.
Und auch wenn sein Outfit in der ersten Szene etwas unglücklich gewählt ist, wie meine Begleitung und ich fanden (‚Wer hat ihm den die Opa-Jeans ausgesucht?‘ ‚Und wieso muss er sich in dem W0llsakko einen abschwitzen?‘), wurden die Outfits zum Glück besser (weiß steht ihm hervorragend!) und mit seinen strahlenden Augen, den verstrubbelten Haaren und dem wohl dosiert eingesetzten Dackelblick fand ich ihn einfach zum Anbeisen.
Seinen Text liefert er gut pointiert ab, auch wenn er mir manchmal etwas zu schnell gesprochen hat (der Non-Native-Speaker winkt mal grüßend in die Runde) und egal ob er nun flirtet, verzweifelt ist, heißblütig seinen Standpunkt vertritt, sich mit Ann ein Schreiduell liefert oder sich schlußendlich mit dem Unausweichlichen abfindet, war er jederzeit glaubhaft und wundervoll anzuschauen.
Mr. Fiennes steht nun definitiv auf meiner: ‚Den würde ich zu gern mal live erleben‘-Liste!!!

Gut gefallen hat mir auch Ferdinand Kingsley als Octavius oder RickyTickyTavi, wie ihn Ann liebevoll und leicht spöttisch nennt.
Kingsley spielt den naiven, jugendlichen Verehrer herrlich bambihaft (große Rehaugen verfolgen das Objekt der Begierde mit Bewunderung), aber nie zu dämlich oder bubihaft, sodas nicht nur Jack Mitleid mit dem armen Kerl hat.

Ansonsten ragt aus einem großartigen und perfekt harmonierenden Cast noch Tim McMullan heraus, der die Doppelrolle des Räubers Mendoza und des Teufels spielt.
Als Mendoza ist er urkomisch, vor allem wegen seinen grottenschlechten Liebesgedichten (‚Louisa! Mendosa!‘) und als Teufel ist er sehr überzeugend und vor allem lässig.

Und der Teufel liefert mir auch das Stichwort für meinen einzigen Beschwerdepunkt: Die Traumszene in der Hölle, bei der Jack als Don Juan eine philosophische Diskussion mit dem Teufel führt, ist einfach zu lang.
Ich weiß, daß diese Szene überspitzt gesagt aus einer trivialen Beziehungskömodie ein philosophisch wertvolles Stück macht – zu lang ist es trotzdem!!!

Die Kostüme und Kulissen waren im Gegensatz zu den letzten Stücken, die ich bei NTlive gesehen habe, sehr aufwändig und wie eigentlich immer im englischen Theater liebevoll ausgesucht, wundervoll anzuschauen und bis auf kleinere Abstriche absolut passend für jede Figur.

Insgesamt war ‚Man an Superman‘ toll anzuschauen, kurzweilig (wenn man die Hölle mal außen vorläßt) und für mich persönlich eine Offenbarung in Sachen Ralph Fiennes!

Die Seite von NTlive zum Stück

Edit: Barsine hat das Stück live gesehen und beschreibt hier ihre Eindrücke. Sie zitiert unter anderem Mendozas grandioses Liebesgedicht und geht näher auf die Höllenszene ein, als ich das getan habe und meine Begleitung Poe beschreibt ihren Eindruck hier.

Der NTlive-Trailer zum Stück

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21 Antworten zu Man and Superman (National Theatre London live)

  1. suzy schreibt:

    Ich stimme Dir hundertprozentig zu! Es war großartig,
    das Louisa, Louisa interpretierte meine Begleitung als das Maria, Maria aus West side story……

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  2. cRAmerry schreibt:

    Ja, so habe ich das auch erlebt (vor und während der Vorstellung 😉 ).
    Auch aus der Non-Native-Speaker-Ecke, kam ich zwar mit dem gewöhnlichen Plot ganz gut klar (trivial geht immer), aber während der 3.Szene hat mich dann doch ab und zu der Schlaf gnädig überwältigt.
    Aber zu den entscheidenden Szenen mit RF und IV war ich dann wieder hellwach. Indira Varma ist ja eine höchst bezaubernde Person. Reizend. Und RF ist trotz weichendem Haupthaar schon eine echte Marke, die einen so schleichend hinterrücks für sich einnimmt. Ja, den würde ich auch gerne mal in natura sehen.

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  3. nellindreams schreibt:

    Ralph Fiennes ist schon ein verkapptes Safarilook-Modell, oder? Und das nicht erst seit dem „Englischen Patient“ 😁. Anfangs musste ich ein paar mal nach Luft schnappen, um dem Redefluss Stand zu halten, aber dann hatte das Stück meine Begleitung und mich gepackt. Amüsant und leichtfüßig bewegten sich die Protagonisten, allen voran RF, von Szene zu Szene. Auch das Höllenintermezzo war unterhaltsam. Übrigens stehen Herrn Fiennes auch Dreispitz und Soldatenjacke ausnehmend gut!
    Alles in allem stimme ich Deiner Kritik, auch der anderen Rollen, zu! Herrn Fiennes würde ich auch mal gerne live sehen…

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  4. KirstenSE schreibt:

    Ich habe es live vor Ort gesehen, 2 Mal, 2. Und 4. Reihe, und ich bin völlig begeistert! Nix habe ich zu kritisieren und für mich gab es auch keine Längen! Ralph Fiennes ist wirklich eine Offenbarung!

    Die nächste Gekegenheit ihn live zu sehen liegt sogar in nicht all zu weiter Ferne: Ibsen’s Masterbuilder im Old Vic im nächste Jahr. Karten gehen im September in den Verkauf.

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  5. Herba schreibt:

    @Suzy: Bei der Assoziation bin ich nun froh, daß er nicht auch noch gesungen hat 🙂

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  6. Herba schreibt:

    @cRAmerry: Ich fasse es immer noch nicht, daß Du neben mir selig entschlummert bist *lol*
    Reizend trifft auf Indira Varma wirklich total gut zu, auch wenn sei ganz oft Zicken spielt 🙂
    Das weichende Haupthaar von Mr. Fiennes hat mich irgendwie so gar nicht gestört. Entweder war ich von den Augen zu abgelenkt oder der Trend geht bei den Herren gerade in die Richtung weniger Haar ist mehr 😀

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  7. Herba schreibt:

    @Nell: Ja, als Safarilook-Modell dürfte er genauso viel Erfolg haben, wie im Hauptberuf 🙂 Und ja, der DonJuan-Look war auch sehr nett, ich mag ja die Stiefel, die er anhatte sehr (so lange ich sie nicht putzen muss 😉 )

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  8. Herba schreibt:

    @Kirsten: ich kann mir vorstellen, daß Ralph Fiennes live extrem intensiv war, das kam für mich schon so über die Kinoleinwand rüber.
    Danke für den Tipp! Fiennes, Ibsen und Old Vic klingt gar nicht so schlecht 🙂

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  9. Die Poe schreibt:

    Louisaaaaa, Medonsa, Louisaaaaaa! Es war sooooo schön! ALLES! Aber ich habs ja gleich gesagt: Lass uns bloß in das Stück mit Ralph Fiennes gehen!!!!! 🙂

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  10. Herba schreibt:

    @Poe: Mein Lieblingsdialog war ja: „NO!“ „YES!“ „NOO!!!“ „YES!!!!“ „NOOOOOOOOOOO!!!“ – einfach herrlich!
    Das stimmt, das hast Du 🙂 Gut, daß ich fast immer auf Dich höre 😀

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  11. Die Poe schreibt:

    Ja, da hab ich mich nicht mehr eingekriegt und die Frau neben mir hat mich gemustert, weil ich nicht mehr aufgehört habe zu lachen.

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  12. Herba schreibt:

    @Poe: nie können wir uns benehmen *lol* nun mußt Du nur Dein Popcorntrauma überwinden und alles ist gut 😀

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  13. Die Poe schreibt:

    Noch ist das Popcorntrauma im Kurzzeitgedächtnis. Wenns erstmal ins Langzeitgedächtnis verschoben wird, dann isses so gut wie vergessen 🙂

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  14. Herba schreibt:

    @Poe: Das ist gut! Kino ohne Popcorn ist wie Hamlet ohne Hamlet 😉

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  15. Hariclea schreibt:

    ja es war toll!! in war nach dem 2 Reihe Erlebnis auch total im Bann des Mannes geraten 🙂 Tooootaler Charmeur! Und toller Schauspieler, ich kam auch raus und dachte, ach sooo jetzt weiss ich wieso ihn alle loben und ja ich will auch gern mehr live.
    Stuck fand ich toll und lichfussig trotz der Lange, beeindruckend sein Gedachnis!
    Im Don Juan Gewande sah er totaaaal gut aus und auch als Safariheld 🙂 Indira hat mir auch gefallen und eigentlich alle Schauspieler, sehr sehr gut gemacht! Und auch endlich ein Stuck dass nicht total depressiv ist 🙂

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  16. Herba schreibt:

    @Hari: Ja, so ging es mir auch. Ich habe festgestellt, daß ich gar nicht viele Filme mit Fiennes kenne und ihn daher auch immer ein bißchen überbewertet fand (*schäm*), aber auf der Bühne in diesem Stück hat er mich wirklich überzeugt, gerade, weil er auch die komischen Momente gut hinbekommen hat – das kann nicht jeder!
    Ich muss sagen, in letzter zeit haben wir bei NTlive eigentlich immer viel gelacht – ein schöner Kontrast zum März wo es die schwere Kost aus Salem gab 🙂

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  17. uinonah72 schreibt:

    @herba: Ich kenne viele Filme mit RF (unter anderem Red Dragon), da ich nach The Constant Gardener zum großen Fan mutiert bin 😉 Ist schon ein paar Jahre her, daher bin ich nicht mehr auf dem aktuellen Stand. Wäre beinahe mal nach Dublin gefahren um ihn live in Faith Healer zu sehen, musste mich dann aber leider mit dem Lesen des Stücks begnügen.
    Man and Superman hätte ich gerne gesehen, vor allem, wenn’s lustig ist, aber „leider“ sind wir im Urlaub, wenn’s bei uns läuft. Man kann halt nicht alles haben 😦
    Falls mal eine Abordnung von Euch nach London pilgert um ihn live zu sehen, gebt Bescheid, vielleicht kann ich ja mit 🙂

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  18. Herba schreibt:

    @uinonah: Schade, daß das mit Dir und Dublin/Ralph damals nicht geklappt hat 😦
    Ich mag ihn eigentlich bis jetzt bewußt nur in Skyfall, in den anderen Filmen, die ich mit ihm gesehen habe, spielt er eher unmögenswerte Personen, von daher bin ich bis jetzt noch nie in die Verlegenheit gekommen ihn extrem interessant zu finden 🙂
    Irgendwie stehst Du und NTlive mittlerweile auf ‚Kriegsfuß‘ miteinander, oder? Wirklich doof – auch wenn es natürlich wichtigeres gibt!
    Ist notiert, falls ich eine Fiennes-Pilgertfahrt unternehmen sollte, sag ich vorher bescheid, versprochen!

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  19. linnetmoss schreibt:

    Would have loved to see this one!

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