Die Kandidatin von Constantin Schreiber

Deutschland in zirka 30 Jahren:
Kurz vor der nächsten Bundestagswahl hat Sabah Hussein die besten Chancen auf das Kanzleramt.
Sabah ist als Flüchtlingskind nach Deutschland gekommen, sie ist Mitglied der Ökologischen Partei, Muslima, Feministin und ehrgeizig.
Kann sie die Gesellschaft, die zwischen Liberalität und rechten Netzwerken immer weiter auseinanderdriftet wieder vereinen?

Ich bin durch einen Verlagsnewsletter auf ‚Die Kandidatin‘ aufmerksam geworden und fand die Prämisse des Buchs ansprechend, habe mich dann aber nicht weiter damit beschäftigt.
Allerdings kannte ich da auch schon den Autor und grob auch seine Biographie und war gespannt darauf, wie ein arabisch sprechender Journalist sich diesem Thema nähern würde.

Wichtig halte ich in diesem Zusammenhang übrigens den Hinweis, dass es sich bei ‚Die Kandidatin‘ meiner Meinung nach um einen Roman mit dystopischen Zügen handelt und nicht, wie zum Beispiel in der NDR-Talkshow vom 14.05.2021 verkündet um einen Politthriller.
Mit diesem unpassenden Label wird die Erwartung auf einen Spannungsbogen geweckt, den das Buch keinesfalls erfüllen kann.

Der Autor treibt in seinem Buch die Spaltung der Gesellschaft auf die Spitze und spitzt sowohl den linken, als auch den rechten Rand der Gesellschaft stark zu.
Das fand ich beim Lesen stellenweise unangenehm, hat mich aber auch stark zum Nachdenken angeregt.
Bei Schreiber kommt durch diese Zuspitzung kein Lager besonders gut weg und wirft vor allem ein schlechtes Licht auf unsere aktuell schon sehr begrenzte Debattenkultur, bei der Zuhören immer seltener wird und scheinbar nur noch Platz für merkwürdige Thesen von denen bleibt, die am lautesten schreien.
Bei allem Bedauern darüber, dass wir scheinbar immer mehr verlernen zuzuhören, hat Zuhören für mich da Grenzen, wo man sich nicht mehr auf eine gemeinsame Basis wie Fakten und wissenschaftliche Erkenntnisse einigen kann – aber das nur am Rande.

Schreibers Stil ist gut lesbar und verständlich. Leider krankt ‚Die Kandidatin‘ aber leider für mich an einer ganz entscheidenen Stelle und das ist die Zeichnung der Kandidatin selbst.
Sabah Hussein bleibt für mich als Figur sehr blass. Es fühlte sich für mich beim Lesen an, als würde ich nur die öffentliche Seite einer Politikerin zu sehen bekommen, bei der auch Privates stark moderiert an die Öffentlichkeit weitergegeben wird.
Wer Sabah wirklich ist, was sie tief im Inneren jenseits von Klischees und abseits vom eigenen Ehrgeiz antreibt, habe ich auf keiner der 208 Seiten erfahren oder auch nur erspüren können.

So fehlte mir ein ganz wesentlicher Punkt der Handlung, der das Buch abseits von Gesellschaftskritik für mich am unteren Rand der Mittelmäßigkeit einordnet.
Zu diesem Gesamturteil komme ich auch weil mir zudem zu viele Klischees verbraten wurden. Ich weiß natürlich, dass diese zur Überspitzung benutzt werden, aber in der Summe war es mir dann einfach zu abgedroschen.
Und auch das Ende wirkte antiklimaktisch auf mich, sodass eine interessante Idee für mich letztendlich an der literarischen Umsetzung scheitert.

Constantin Schreiber Islamphobie oder Rechtspopulismus vorzuwerfen, halte ich im übrigen, trotz meiner Kritik an ‚Die Kandidatin‘ für absurd, denn er hält allen Parteien, die im Buch vorkommen den Spiegel vor und zeigt, was passiert, wenn eine gesellschaftliche Strömung immer radikaler wird, egal aus welcher Richtung sie kommt.
Das mag, wie auch schon weiter oben im Post beschrieben, nicht ganz angenehm für den jeweiligen Personenkreis sein, reicht aber weder, um den Autor zum Islamphobiker, noch zum Rechtspopulisten zu machen.

Constantin Schreiber bei Hoffmann und Campe
Der Autor bei Twitter
‚Die Kandidatin‘ bei Amazon.de (Affiliate-Link)

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7 Antworten zu Die Kandidatin von Constantin Schreiber

  1. Nicole Kirchdorfer schreibt:

    Hm. Schade. Gutes Thema.

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  2. Herba schreibt:

    @Nicole: ja, auf jeden Fall. Wenn er das mit der Figurenentwicklung besser hinbekommen hätte, hätte es ein echtes Jahreshighlight sein können.

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  3. Michele Marsh schreibt:

    The premise sounds intriguing but if the main character is too shallow or not interesting enough then the driving force of the book is lost. What a shame but great honest review from you 👍

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  4. Servetus schreibt:

    Interesting. I’d love to read a more realistic novel on this theme, though. I’ve had enough of dystopia.

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  5. Herba schreibt:

    @Michele: The pity is that she could have been interesting, but the author missed the chance to write her that way. Thanks

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  6. Herba schreibt:

    @Servetus: Yah, this was very depressing and I might not have read it at all if I knew about the slightly dystopian approach.

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  7. Michele Marsh schreibt:

    Always frustrating as a reader

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