Zwei Krieger

‚Verdammt!‘ Nun hatte er sich schon wieder verirrt. Genervt stütze er die Hände in die Hüften und hielt einen Moment inne, um zu verschnaufen.
Dwalin und die Anderen würden sich über ihn kaputt lachen, wenn sie das mitbekommen würden. Und dabei hatte er sich ganz genau an die Wegbeschreibung gehalten, die er in Bree bekommen hatte.
Ja gut, das Gespräch mit dem Landstreicher war schon ein ganzes Weilchen her und die Zeichnung, die ihm der Mann auf einen Stoffetzen gemacht hatte, war so zerknautscht und verdreckt, dass er sie kaum noch entziffern konnte.
Aber so schwer konnte das trotz allem nicht sein. Schließlich kannte er sich in den Nebelbergen aus. Also, so gut wie eben…
‚Verdammt!‘
Er wollte doch einfach nur einen weiteren Job erledigen, um sein im Exil lebendes Volk zu unterstützen. War es denn zu viel verlangt, mal da hinzukommen, wo man hinwollte, ohne ewig Umwege in Kauf zu nehmen, weil niemand Wegbeschreibungen geben konnte, die etwas taugten.
Den Verdacht von Dwalin, dass das womöglich und nur ganz eventuell vielleicht an ihm liegen könnte, wies er weit von sich.
Frechheit! Als ob er keine Karten lesen und sich Wegbeschreibungen merken könnte.
‚Na, wenigstens ist es noch lange hell und es regnet nicht!‘
Trotzdem immer noch vor sich hin grummelnd machte sich Thorin, Sohn von Thráin, Enkel von Thrór wieder auf den Weg….

***

Leise kichernd krabbelte er auf dem Bauch durchs Gebüsch. Er hatte es mal wieder geschafft und seinem Lehrer ein Schnippchen geschlagen.
Nun lag fast ein ganzer Tag voller spannender Möglichkeiten vor ihm und er konnte es kaum abwarten, bis er sich weit genug von der Steinbrücke entfernt hatte, damit er wieder laufen konnte und nicht mehr krabbeln mußte.
Weder Elrond, noch seine Mutter würden das besonders lustig finden und sich Sorgen machen, sobald sie sein Verschwinden bemerkt hätten, aber was sollte ihm denn schon groß passieren.
Schließlich war er ja nur ein sechsjähriger Junge, der keinen Vater mehr hatte und einen merkwürdigen Namen trug.
‚Estel‘, wie er diesen Namen hasste. Nun ja, hassen war vielleicht ein zu starkes Wort, aber er fühlte sich einfach falsch an, wann immer er ihn hörte. Ja, selbst in seinen Gedanken fand er, dass dieser Name nicht zu ihm paßte.
Aber als er Herrn Elrond darauf im Beisein seiner Mutter ansprach, warfen sich die beiden Erwachsenen nur erstaunte und dann besorgte Blicke zu und wichen ihm aus.
Egal!
Heute wollte er sich darüber keine Gedanken machen. Heute wollte er seine Freiheit und den Sonnenschein genießen und seine Umgebung erkunden. Morgen würde er dann wieder die Schulbank drücken, aber das war ja noch lange hin.
Und nun konnte er auch schon die Lichtung sehen, die er ereichen woltle und ab der er dann das Kriechen ud Verstecken sein lassen konnte…

***

Als die Sonne am höchsten stand, hatte sich Thorin ein schattiges Plätzchen auf einer Lichtung gesucht, um sich hinzusetzen, Wasser zu trinken, eine Kleinigkeit zu essen und sich ein wenig auszuruhen.
Der Platz war so friedlich und einsam, dass er wohl kurz eingenickt sein musste.
Doch nun hatte ihn ein Rascheln im Unterholz aufgeweckt und in Kampfbereitschaft versetzt. Man konnte schließlich nie wissen, wenn man in der Einöde von Mittelerde über den Weg lief.
Die Schwerthand auf dem Knauf seines Schwertes gelegt, stand er langsam und fast lautlos auf und spähte in das Gebüsch, aus dem die verdächtigen Geräusche kamen.
Als das Geraschel immer näher kam, machte er plötzlich einen Satz und bekam etwas zu fassen, das er nun hochriss. Erstaunt sah er seinen Fang für einen kurzen Moment an, nahm sich jedoch schnell wieder zusammen und fragte drohend:
‚Wer bist Du? Und wieso spionierst Du mir nach? Los! ANTWORTE!‘
Dabei schüttelte er das Wesen, das er am Kragen seiner Jacke gepackt hatte, wie ein ungezogenes Wolfsjunge hin und her.
Dafür wurde er mit einem finsteren Blick aus wachen Augen bedacht, bevor er die trotzige Antwort bekam:
‚Ich habe Euch nicht nachspioniert. Ich bin einfach so durch den Busch gekrochen!‘
Nun konnte Thorin nicht anders, widerwillig musste er über seinen Fang lachen, der sich als kleiner Menschenjunge herausstellte.
‚Und wieso kriechst Du am hellichten Mittag hier durchs Gebüsch? Hast Du keine Eltern?‘
Nun wurde der Kleine doch unsicher.
‚Doch….also…..ich….‘
‚Ja, was denn nun? Hör mit der Stotterei auf und gib mir Antwort!‘ Um seine Forderung zu unterstützen, schüttelte er den Kleinen noch einmal durch, der noch immer in der Luft baumelte und sich im festen Griff von Thorins Faust wandt.
‚Hey, ich bin doch kein Schinken, der im Rauch baumelt. Laßt mich runter!‘
Das ließ sich Thorin nicht zwei Mal sagen. Er öffnete einfach seine Faust und der Junge fiel wie ein Kartofelsack zu Boden.
Doch ohne Schmerz oder Angst zu zeigen, rappelte sich der Kleine auf und schaute Thorin fest in die Augen.
‚Man nennt mich Estel und ich lebe mit meiner Mutter bei Meister Elrond in Bruchtal, seit mein Vater gestorben ist. Und wer seid ihr?‘
‚Ich bin Thorin, Sohn von Thrain, Sohn von Thror, den Königen unter dem Berge!‘
‚Oh, ihr seid ein echter Prinz!? Ich habe noch nie einen echten Prinz getroffen. Es freut mich Eure Bekanntschaft zu machen!‘
Amüsiert sah Thorin, dass der kleine Junge einen Diener vor ihm machte. So viel Wertschätzung war er gar nicht mehr gewohnt, seitdem er im Exil lebte.
Trotzdem hatte er registriert, dass Estel ihm noch nicht alle seine Fragen beantwortet hatte, daher hakte er nach:
‚Und was treibst Du nun hier im Wald kleiner Estel?‘
Verlegen murmelte der Junge: ‚Ich bin weggelaufen.‘ Dann ein wenig selbstsicherer: ‚An so einem schönen Tag wollte ich nicht drinnen sitzen und langweiliges Zeug lernen. Ich wollte lieber draußen sein und die Welt kennenlernen!‘
Das war ganz nach Thorins Geschmack und schmunzelnd fragte er: ‚Bist Du hungrig? Ich wollte gerade etwas essen und teile natürlich gerne mit einem Entdecker wie Dir.‘
‚Oh ja, gerne. Ich habe mich vorhin so schnell weggeschlichen, dass ich nicht an Proviant gedacht habe. Und das Frühstück ist schon lange her.‘
Nun saßen der Zwerg und der kleine Menschenjunge beisamen, verzehrten Thorins Brot und Käse und schwiegen einträchtig, bis Estel Thorin dazu überredete ihm Geschichten aus vergangenen Schlachten zu erzählen.
Zuerst folgte Thorin den Bitten des Jungen auch gerne, doch als ihm keine Kampfgeschichten ausser einer mehr einfielen, verstummte er und sein Blick richtete sich blind in die Ferne.
Estel spürte, dass Thorin an etwas dachte, das keine gute Erinnerung war und er wagte es nicht das Schweigen zu brechen, also blieb er still sitzen und sah Thorin nur an.
Nach einer ganzen Weile brach der Zwerg mit einem tiefen Seufzer die Stille und sagte: ‚Ich wünsche Dir ein friedlicheres Leben, als es mir beschieden war und dass Du nie Deine Heimat verlierst, so wie mein Volk und ich!‘
‚Es tut mir leid! Ich wollte Euch nicht traurig machen!‘
‚Es ist nicht Deine Schuld mein Junge. Aber ich rate Dir, bleib so lange ein Junge wie es geht und lerne so viel Du kannst. Man weiß nie, wann man Erlerntes einmal brauchen kann und wann Leben davon anhängen.‘
Feierlich streckte Estel Thorin die Hand hin und sagte: ‚Das verspreche ich Euch!‘
Nachdem der Junge dem Zwerg die Hand geschüttelt hatte, packte Thorin sein Bündel zusammen, legte dem Jungen die Hand auf die Schulter und sagte: ‚Nun komm, ich begleite dich nach Hause zurück.‘
Nach kurzer Zeit erreichten die Beiden den Anfang der Steinrücke, die nach Bruchtal führte und noch einmal schüttelten sie sich die Hand.
Dann lief Estel los und als er die Mitte der Brücke erreicht hatte, drehte er sich noch einmal um, um Thorin ein letztes Mal zu grüßen, der ebenfalls noch einmal die Hand zum Gruß erhob, bevor er zwischen den Bäumen verschwand.

Beide konnten nicht ahnen, dass Thorin, der König der Zwerge der Erfüllung seines Schicksals entgegenging und dass aus Estel einmal der berühmte Krieger Aragorn werden würde, der einmal König von Gondor und Arnor werden würde…

* * * * * * * * * * * * * * * * *

Dieser Text ist für das Gemeinschaftsblogprojekt von Poe und mir entstanden. Das Thema war ‚Mach was…mit Zwei‘.
Für diese Geschichte habe ich mir Figuren aus Tolkien’s Mittelerde ausgeliehen, nachdem ich mir hier ein Treffen gewünscht hatte. Eine Urheberrechtsverletzung ist damit nicht beabsichtigt!
Gesamter Text © Herba für ‚Unkraut vergeht nicht…oder doch?‘
Bitte nicht ungefragt zitieren oder weiterverwenden!!!

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21 Antworten zu Zwei Krieger

  1. Servetus schreibt:

    This is sweet. I love Thorin stories where he’s not such a total a**.

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  2. Herba schreibt:

    @Servetus: Thank you. Me too!
    Also the timeline for both of them gave me not much leeway for a story that could have happened. Otherwise I would have loved to write about a meeting between two grown ups. Not sure if Thorin would have been a nice guy there too 😉

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  3. Servetus schreibt:

    He has such a huge chip on his shoulder. But I like to believe he has the potential to be better.

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  4. Herba schreibt:

    @Servetus: I am pretty sure of that. If Smaug never happened Thorin would have been a great, fair and kind (or at least as kind as dwarves can be) king with friends like Balin and Dwalin by his side for good advice

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  5. Servetus schreibt:

    Your statement here is essentially the reason why I read „fixit“ fanfics.

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  6. Pingback: Gemeinschaftsblogprojekt ‘Mach was!’ – Ergebnis #67 und neues Thema | Unkraut vergeht nicht….oder doch?

  7. Herba schreibt:

    @Servetus: Those really can be very satisfying. But for me the characters involved have to be still recognisable in some way. That’s why I struggle so often with GoG-fanfic…

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  8. Servetus schreibt:

    Agree. I think it’s really hard to find a GoG fanfic that corresponds to the picture of Guy that Armitage created.

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  9. Herba schreibt:

    @Servetus: When I tried to write one I discovered that I couldn’t come up with a story that would fit that image and that’s why I blew my GoG up and gave him amnesia.
    Should really finish that saga one day but my father died when I was in the middle of it and I wasn’t able to find that sort of tone again that is needed for the story. Ah well… *sigh*

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  10. Servetus schreibt:

    There are so many things you can write — so if it doesn’t please you now, it will always be in a file somewhere, I assume, for you to go back to.

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  11. Pingback: Medienjournal: Media Monday #505 | Unkraut vergeht nicht….oder doch?

  12. Esther schreibt:

    Ah, süß! 🙂

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  13. Guylty schreibt:

    Herrliche Geschichte, Herba. Hat mir gut gefallen – und der orientierungslose Thorin ist ja sowieso immer einen Lacher wert.

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  14. mwj schreibt:

    Schöne Geschichte. Und jetzt wissen wir auch warum Thorin in der Hobbit-Trilogie über weite Strecken ein Aragorn-Verschnitt ist 😉

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  15. Herba schreibt:

    @Servetus: That is true of course

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  16. Herba schreibt:

    @Guylty: Danke. Hihi, immer wieder schön, den Oberzwerg deswegen ein bißchen zu ärgern 😉

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  17. Herba schreibt:

    @mwj: Danke!
    Dieser Gedanke ist mir tatsächlich noch nie gekommen. Für mich sind die Beiden ganz unterschiedliche Figuren

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  18. Guylty schreibt:

    Absolut. Allein schon, damit er nicht noch arroganter wird als so schon!

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  19. Herba schreibt:

    @Guylty: Frei nach dem Motto: Auch ein Eichenschild braucht mal Hilfe 😎

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  20. mwj schreibt:

    Ich finde sie haben Thorin für die Hobbit-Verfilmung schon recht deutlich als Aragon 2.0 „aufgemotzt“. Quasi für den besseren Wiedererkennungswert.

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  21. Herba schreibt:

    @mwj: Das Aufmotzen würde ich unterschreiben. Aragorn 2.0 wie gesagt nicht unbedingt.

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