Ich bin Deutsche. Hier geboren. Hier aufgewachsen. Nie (außer im Urlaub) woanders gelebt.
Deutsch ist meine Muttersprache.
Aber fühle ich mich auch deutsch? Bin ich stolz Deutsche zu sein?
Die zweite Frage kann ich ganz klar mit ’nein‘ beantworten. Denn ich finde, ich kann nur auf etwas stolz sein, zu dem ich aktiv etwas beigetragen habe und nicht auf etwas, worauf ich null Einfluss hatte…
Die erste Frage ist schon schwieriger zu beantworten. Wenn ich bewußt drüber nachdenke, dann sehe ich mich als Deutsche, Europäerin, Hessin, R*****erin – also als Bewohnerin meiner Stadt.
Aus dem Bauch heraus und ohne groß nachzudenken, sehe ich mich als D*********in, das ist der Ortsteil (vor meiner Geburt noche in eigenständiges Dorf), in dem ich groß geworden bin.
Mein ganz eigener kleiner Mikrokosmos, in dem ich groß geworden bin und in dem ich mich als Kind auskannte und sicher fühlte.
Nun bin ich (mittlerweile schon ein bißchen länger) groß und mein Kosmos hat sich erweitert. Auch von Deutschland kenne ich ein bißchen mehr. München, Dresden, Berlin, Bonn, sind nur ein paar (bekannte) Beispiel für Orte, an denen ich in Deutschland war.
Sie haben mir gezeigt, dass dort zwar die gleiche Sprache gesprochen wird, wie in meiner Heimatstadt und vieles bekannt ist, aber eben auch einiges, was anders ist, als in ‚meinem‘ Deutschland.
Vielleicht finde ich es deshalb so schwierig, nachzuvollziehen, was Menschen verteidigen wollen, wenn sie auf ihr Deutschsein pochen, ‚Fremde‘ weg haben wollen und die Deutschlandfahne (aus billigem Stoff in Taiwan hergestellt und für nen Apfel und ein Ei gekauft) schwenken, als wäre das etwas, was sie ganz allein in liebevoller Handarbeit und unter großen Mühen gemacht haben.
Ich glaube, ich kann froh sein, in Deutschland zu leben, mit einem deutschen Pass geboren worden zu sein und dann auch noch ‚deutsch‘ auszusehen ((beim Tippen dieses Halbsatzes rollen sich meine Augen gerade zum Himmel).
Ich bin in Frieden aufgewachsen, nicht reich, aber behütet und ohne mitzubekommen, dass Geld nichts war, womit meine Eltern um sich schmeißen konnten.
Ich konnte friedlich aufwachsen, ohne Krieg und Gewalt, ohne Flucht und Vertreibung. Mit Zugang zu Bildung, ohne dafür Mühen auf mich nehmen zu müssen oder dafür zu kämpfen.
Ich durfte und darf meine Meinung sagen, ich darf wählen, arbeiten gehen, Auto fahren, ein eigenes Konto haben, eine Wohnung mieten, darf meine Partner frei wählen und allgemein tun, was ich als mündiger Bürger tun will (in den Grenzen unsrer Gesetze).
Ich darf sagen, dass ich unseren Verkehrsminister bescheuert, Nazis kacke und Verschwörungs- und Diktaturtheoretiker gaga finde.
Ich darf sagen ‚Wir haben Platz‘, ‚Eine anständige Rente und Zugang zu Bildung für alle‘ und ‚Sorgt endlich dafür, dass uns die Lebensmittelindustrie nicht mehr verarschen darf‘.
Ich darf mich über die Vielfalt in Deutschland freuen. Über Lederhosen im Süden, Karneval im Westen, Fischbrötchen im Norden und Schwibbogen im Osten (Achtung Klischees).
Aber ich ‚muss‘ mir mittlerweile auch Sorgen machen hier in meinem Deutschland. Wegen einer egoistischen Ellbogengesellschaft, deren Mitglieder sich nur um sich selber kümmern.
Wegen Rassisten und Rechten, die offen Hass predigen. Wegen Verschwörungstheoretikern, die immun gegen Fakten sind.
Und wegen ganz viel mehr…..
Aber ich habe auch Hoffnung. Weil es eben auch genug Menschen gibt, die sich um andere kümmern, sich einsetzten.
Weil es Jugendliche gibt, die was ändern wollen, die auf die Straße gehen, um für ihre Zukunft zu kämpfen, auch wenn sie dafür als Schulschwänzer verlacht werden.
Weil die Kids und jungen Erwachsenen in meiner Umgebung Fragen stellen, neugierig sind, fähig, sich auf anderes einzulassen….
All das ist gerade ‚mein‘ Deutschland. Und obwohl die Zeiten unsicher und verrückt und beängstigend sind, bin ich nach wie vor dankbar, hier zu leben in ‚meinem‘ Deutschland.
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Dieser Text ist für das Gemeinschaftsblogprojekt von Poe und mir entstanden; das Thema ‚Mach was…mit Deutschland‘. Ich gebe meine Meinung wieder.
Gesamter Text © Herba für ‚Unkraut vergeht nicht…oder doch?‘
Bitte nicht ungefragt zitieren oder weiterverwenden!!!
Das war ein schöner, persönlicher Beitrag. Ich glaube jede Gesellschaft hat so seine Macken, ist bei uns in den Niederlanden ja auch so. Kritisch sein können über das eigene Land ist immer eine gute Eigenschaft genauso wie einsehen was auch gut ist. Wir haben es wirklich nicht so schlecht in West-Europa.
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Es ist schon ab und an seltsam, sich als freudiger Deutscher zu outen.
Wird schnell mal falsch verstanden.
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Schön gesagt. Auch wenn ich nicht mehr in Deutschland lebe – aber so stelle ich es mir dort vor.
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Vielen Dank für Deinen wunderbaren Beitrag!
Herzliche Grüße
Andreas
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@Esther: Nicht ganz so persönlich wie Deiner, aber danke 🙂
DAS denke ich auch. Man könnte schlechter leben als bei uns.
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@Wortman: Da kann ich nicht mitreden, das Problem hatte ich noch nie.
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@Guylty: Danke schön. Ich bin mal gespannt, was für Erfahrungen Dein Sohn in Berlin machen wird.
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@Andreas: Nichts zu danken, immer wieder gerne und liebe Grüße zurück!
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Last news – er ist gestern in eine WG eingezogen. Ich bin schwer gespannt… 😉
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@Guylty: Das wird schon. Und WG-Erfahrung hat er ja schon, oder?
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Sozusagen. Ich sehe gerade, er wohnt irgendwo zwischen Wilmersdorf und Friedenau. Einer der Mitbewohner ist Brasilianer.
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@Guylty: Also echt multi-kulti. Find ich gut!
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Ich leider schon. Unter Anderem auch deswegen, weil das geschriebene Wort ohne Gestik und Mimik ist.
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My German exSO always told me he wasn’t a German. He would have said he was „norddeutsch,“ I think, but he wouldn’t have had to say it because it was obvious from his speech to anyone who knew Germany and anyone else would have classified him as German without him having to say it. If he could have picked any identification himself, he would have chosen „Hamburger“ or possibly „Ostfriese“ (where his parents lived a long time). He also said there was never any good reason to shout „Deutschland,“ at soccer matches or elsewhere. He had no visible patriotism or emotion for German national displays (few that there were in the 90s and 00s), but he could occasionally get teary when he talked about the Basic Law, or the reunification. It was pretty clear to me (mild American patriot that I am) that our respective senses of national identification were quite different.
Because I was an active member of the Jewish community and also an expatriate with expat friends, he was frequently exposed to much more critical discourses about Germany than he would have been otherwise. Alternately he was uncomfortable (as at a Biergarten with a dozen American scholars grousing about their struggles), or thanked me for giving him another perspective (he didn’t understand that or why Jews can be really ambivalent about the term „Mitbürger“). Without writing a monster post, my own feeling was that Germans often got their national identity right (because they spent generations working on it after 1945) even though there were many blind spots. Germans were at least willing to see their blind spots.
of course, that’s now 25 years in the past … and so many things have happened … I just read about the assault in Hamburg … but I think the fundamental impulse of Heimatliebe is a really important counterbalance to nationalism. I wish Americans were more thoughtful about these things.
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@Wortman: Unterhaltungen übers Internet sind definitiv anfällig für Missverständnisse
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@Servetus: That attitude sounds really familiar.
I always felt we Germans were on a good path in the Eighties and Nineties but in retrospect I am not so sure. Or maybe we were and took the wrong turn somewhere along the lines?
Now it is pretty clear to me that the society I live in isn’t that tolerant and liberal I always thought it was and that is horrible. News like the horrible assault in Hamburg or Halle or the murders from Hanau and of Walter Lübcke and I will never understand why people hate other people so much to do such things or even support those who commit these crimes…
But if a society allows people like the members of the disgrace of a political party AfD to spew lies and hate live on tv I shouldn’t be suprprised I guess (as I write this DT is on the german news with his speech on the porch of the WH and I shake my head in disbelief…can this guy go any lower?)
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I’ve been increasingly afraid in the last year that a cataclysm is the only end to the mess. And in the last month I’ve found myself increasingly apathetic about that possibility, even though people like me have a lot to lose. These people wear us down with their nasty rhetoric.
How you feel about Germany in the 80s/90s is how I felt about the US in the 70s. But it seems like all that is in process of being rejected in the US. People were just silent about their true feelings, I suppose.
I understand murdering people you know, at least on some level. Not that I would be able to myself, but the impulse is familiar to me. Murdering / assaulting strangers because they belong to a group you are prejudiced against, that will always seem foreign to me.
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Ohja und wie.
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@Servetus: I know the feeling. It’s all so tiresome and scary.
Seems that way. Many good liars around I guess.
Yes, out of rage or to protect loved ones. But these hate crimes are truly beyond me.
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Herba very honest and genuine post
My mum is German from Stuttgart met my dad on a blind date at a
tea set up by a friend of hers who spoke no English
My mum offered to pinch hit for her
She came to America on a marriage proposal in a letter
She’s proud to be German. All countries have their good and bad sides
Right now from where I’m sitting I’d rather be in Germany than in America
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@Michele: Yes to all countries have good and bad sides and being rather in Germany than in the US atm.
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