Erwischt!

Lord Gisborne konnte nicht schlafen. Unruhig warf er sich in seinem Bett hin und her und versuchte eine bequeme Position zu finden.
Doch als das erste Licht des Morgens durch sein Fenster fiel, gab er auf und beschloss im Stall nach dem Rechten zu sehen.

Leise schloss er seine Zimmertür und wollte gerade die Treppe ins Erdgeschoss nehmen, als ihm der Schatten einer unkenntlichen Gestalt auffiel, die über den Gang schlich, um dann auf leisen Sohlen die Treppe hinunter zu gehen.
Wer zum Kuckuck geisterte am frühen Morgen, wenn noch alles schlief durch sein Haus?
Wurden sie etwa von einem Einbrecher heim gesucht?
Hatte nicht sein alter Erzfeind Robin vor kurzem vor ihm und Archer getönt, dass die Kriminalität in ihrer Gegend nachgelassen hatte, seitdem Robin vom König zum Sheriff of Nottingham gemacht hatte.
Gisborne konnte den Schnösel nach wie vor nicht besonders gut leiden, machte aber gute Miene zum bösen Spiel, wenn sie sich über den Weg liefen.
Wegen ihres gemeinsamen Bruders Archer und weil er selbst Robin doch irgendwie einiges schuldete, auch wenn er das öffentlich und laut nur ungern zugegeben hätte.

Der Lord seufzte. Nach wie vor dachte er nicht gerne an die Vergangenheit zurück.
Lieber konzentrierte er sich auf die Gegenwart und darauf ein anständiges Leben zu führen und sich um seine Schutzbefohlenen zu kümmern. Er hatte schließlich einiges wieder gut zu machen.
Trotzdem würde er einen vermeintlichen Dieb nicht einfach entkommen lassen.
Auf jeden Fall musste er herausfinden, wer da unterwegs war und was diese Person im Schilde führte.

Gisborne schlich auf leisen Sohlen die Treppe hinunter und stellte in der Halle fest, dass wohl jemand die Außentür der Küche offen gelassen haben mußte, weil es einen spürbaren Luftzug gab.
Er wandte sich in die ensprechende Richtung und vermied dabei jedes Geräusch.

Als er im Freien angekommen war orientierte er sich kurz und sah dann im schummerigen Morgenlicht, das mehr verbarg als erhellte, eine Gestalt am Stall vorbei huschen und dann in Richtung Weiher im Wald verschwinden.
‚Na warte, Bürschen! Du entgehst mir nicht‘ grummelte Gisborne zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor und eilte der Gestalt hinterher.

Am Waldrand angekommen führte ein Pfad, der unwillkührlich schmaler und unebener wurde, tiefer in den Wald.
Der Lord kannte diesen Weg mittlerweile wie seine Westentasche und folgte ihm mit großen, wenn auch immer noch leisen Schritten, bis er schließlich die Gestalt vor sich sah.
Mit einem großen letzten Satz sprang Gisborne nun vor, erwischte den vermeintlichen Einbrecher an der Schulter und brachte ihn zu Fall.
‚Hab ich Dich!‘ schrie der Lord.
‚Autsch, verdammt!‘ entfuhr es der Gestalt vor ihm im Fallen und rollte über den Waldboden auf den Rücken.
Gisbornes Hand schnellte vor und riss der Person das Tuch, das zur Maksierung um den Kopf geschlungen worden war, weg.
‚DU!?!‘
Vor ihm lag Flo, die Dienerin seines Hausgasts, die seitdem sie angekommen war, nur für Aufruh und Ärger sorgte.
‚Was zum Kuckuck hast Du hier draußen zu suchen? Was soll diese Vermummung? Und wieso zum Kuckuck trägst Du Hosen?‘

Gisborne zerrte die junge Frau unsanft am Arm hoch und starrte sie finster an.
Erst als sie sich mit der freien Hand die andere Schulter rieb und das Gesicht verzog, wurde ihm klar, dass ihr Sturz vielleicht weh getan haben könnte und schickte hinter all seinen Fragen noch ein ‚Bist Du verletzt?‘ hinterher.

‚Mylord….‘ murmelte Flo, schaute zur Seite und schüttelte dann fast unmerklich den Kopf.
Gisborne kniff die Augen zusammen. ‚Was soll das denn? Habe ich ein Stelldichein gestört und nun willst Du Deinen Liebhaber warnen, was? Komm raus, Bursche! Sei ein Mann!‘
‚Ich bin allein Herr…‘ versuchte Flo den Lord zu beschwichtigen, aber da raschelte es auch schon im Unterholt und ein Stimmchen rief:
‚Ich bin hier Vater. Es ist alles meine Schuld!‘
Nun sah Gisborne seine kleinen Sohn auf sich zukommen, der betreten zu Boden schaute, nur um ja nicht seinem Vater ins Gesicht sehen zu müssen.
‚Kann mir mal jemand erklären, was das alles soll? Aber schnell, wenn ich bitten darf!‘
Flo öffnete den Mund, aber der kleine Junge war schneller.
‚Onkel Archer hat mir von der Rehherde erzählt, die im Morgengrauen immer zum Weiher kommen, um zu trinken und weil ich so gern das Kitz, das dabei ist, sehen wollte, habe ich Flo dazu überredet, mit mir dort hin zu gehen. Wir wollten wirklich nichts Böses tun, nur die Tiere sehen…‘
Die junge Stimme wurde immer leiser und verstummte dann völlig, aber Gisborne konnte sehen, wie sich die Augen seines Sohns mit Tränen füllten.

Der Kleine war ihm immer noch fremd und er wußte nicht, wie er mit ihm umgehen sollte, aber zum Weinen bringen wollte er ihn nun auch nicht gleich.
Daher fragte er mit etwas ruhigerer Stimme: ‚Und wieso hast Du mich nicht gefragt?‘
‚Ich wollte nicht ungehorsam sein, aber wenn du nein gesagt hättest, wäre ich vielleicht trotzdem gegangen und dann wäre ich doch ungehorsam gewesen.‘
‚Klingt logisch‘, brummte der große Mann und unterdrückte ein Schmunzeln. Dieser Logik konnte selbst er sich schwer entziehen.
‚Na, dann lauf mal leise voran und zeig uns den Weg zu dieser Herde!‘

Erleichtert und eilfertig lief der Kleine los.
Seine Begleiterin bewegte sich nun auch, wollte jedoch an Gisborne vorbeischlüpfen und in Richtung Haus zurücklaufen. Doch sie kam nicht weit, weil der Lord sie immer noch am Arm gepackt hatte.
‚Oh nein! Du wirst schön mitkommen. Dann kannst Du mir gleich erklären, wieso Du Hosen trägst, was diese Maskierung soll und wieso Du meinen Sohn zum Ungehorsam ermutigst!‘
Flo seufzte schwer, als hätte er Unvorstellbares von ihr verlangt und murmelte dann: ‚Dazu müßt ihr mich aber erst loslassen, Mylord. Ich kann so nicht weiterlaufen…‘
Lässig ließ er ihren Arm los und runzelte dann ungehalten über sich selbst die Stirn, als er sah, wie sie sich verstohlen die Stelle rieb, an der er sie gepackt hatte.
‚Ich wollte Dir nicht weh tun….aber würdest Du nun endlich meine Fragen beantworten!!!‘
Flo drehte sich leicht zu ihm um, damit er ihre leise Antwort hören konnte.
‚Habt Ihr schon einmal versucht Euch leise in einem Rock oder Kleid zu bewegen?‘
‚Was? Ich? Also…‘, verwirrt sah Gisborne Flo an.
Die schmunzelte nun unwillkürlich. ‚Das war eine rhetorische Frage Mylord. Und die Antwort darauf ist: es ist unmöglich. Daher habe ich Hosen angezogen. Wir wollten niemanden wecken.
Und das Tuch habe ich mir um meine Haare gebunden, damit sich der Knoten nicht auflöst und als wir dann so über den Gang geschlichen sind, haben wir den Sturm auf den Tempel nachgespielt und ich habe mir zur Maskierung den Tuchzipfel vors Gesicht gezogen.
Das ist schon alles. Wir wollten wirklich nichts Böses, einfach nur ein kleines, harmloses Abenteuer.
Euer Sohn ist zwischen all den Erwachsenen manchmal ein wenig einsam und…‘
‚Psssssssssssssst Flo, nicht so laut, wir sind da…‘

Gisborne sah, dass sich sein Sohn hinter einen umgefallen Baum gekauert hatte.
Von dieser Position hatte man einen wunderbaren Blick auf das Ufer des Weihers, das im Morgenlicht lag.
Der Lord ließ sich neben dem Kleinen nieder und zog auch Flo mit sich, die sich auf der anderen Seite niederließ, damit das Kind zwischen ihnen plaziert war.

Kaum hatten sie es sich gemütlich gemacht, kam die Rehherde, von dem der Kleine so geschwärmt hatte, aus dem Dickicht und stillte in aller Ruhe ihren Durst.
Der Augenblick war so friedlich, dass sich Gisborne unwillkürlich entspannte und bedauernd aufseuzfte, als sich die Tiere Minuten später in die Büsche schlugen.

Als die drei Menschen dann aufstanden, strahlte der Kleinste.
‚War das nicht toll Vater?‘
‚Ja, das war es‘, gab Gisborne zu. ‚Wenn Du das nächste Mal so einen Ausflug plannst, sagst Du mir gleich Bescheid, ja!?!‘
‚Ja, Vater. Versprochen!‘
Erleichtert und froh hüpfte Klein Gisborne über den Waldpfad und rief: ‚Gibts jetzt Frühstück?‘
Gisborne ignorierte den Kleinen, der sowieso keine Antwort zu erwarten schien und wandte sich an die junge Frau, die einmal mehr in seiner Gegenwart auf ihre Schuhspitzen starrte.
‚Ich erwarte, dass Du mich beim nächsten Mal informierst, wenn ihr wieder so etwas vorhabt. Und keine Maskierungen mehr, verstanden!?!‘
‚Ja Mylord!‘
Als die beiden Erwachsenen dann still zum Haus zurückliefen, dachte sich der Lord: ‚Was für ein entspannter Tagesbeginn!‘ während Flo in Gedanken feststellt: ‚Manchmal kann er also doch ganz nett sein.‘ und sich ihren schmerzenden Arm rieb.

* * * * * * * * * * * * * * * * *

Dieser Text ist für das Gemeinschaftsblogprojekt von Poe und mir entstanden. Das Thema war ‚Mach was…mit Maskierung‘.
Für diese Geschichte habe ich mir eine Figur einer englischen Fernsehserie ausgeliehen. Eine Urheberrechtsverletzung ist damit nicht beabsichtigt!
Die Geschichte kann als Teil einer FanFiction betrachtet werden, die ich schon 2011/12 angefangen, aber nie beendet habe.
Vorgängergeschichten zu dieser Episode sind ‚All Hallow’s Eve‘, ‚Konfrontation‘ und ‚Verfolgt‘.
Die beiden ersten Episoden sind auf jeden Fall zeitlich vor ‚Erwischt!‘ angesiedelt. ‚Verfolgt‘ sielt fast gleichzeitig.
Gesamter Text © Herba für ‚Unkraut vergeht nicht…oder doch?‘
Bitte nicht ungefragt zitieren oder weiterverwenden!!!

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18 Antworten zu Erwischt!

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  3. Michele Marsh schreibt:

    Herba, sweet story with a nice touch at the ending!! Gisborne as a daddy!! Yeah!!!

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  4. Herba schreibt:

    @Michele: Thanks! Well, I only took the BBC version of Gisborne and developed him a bit. He is a father there too, even if an absent one 🙂

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  5. Michele Marsh schreibt:

    Herba, yes he was an absent father from S1. I always thought that the son would come back to visit him but the story was totally dropped..

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  6. Guylty schreibt:

    Süß! Gefällt mir gut, wie du Gisborne hier in ein neues Szenario versetzt.

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  7. Herba schreibt:

    @Michele: Maybe he would have come back if the show lasted longer?

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  8. Herba schreibt:

    @Guylty: Danke! ‚Mein‘ Guy ist ein sensibler Typ….wenn man lange genug hinschaut 😉

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  9. Michele Marsh schreibt:

    Herba, to be honest once Marian bit the dust I waffled thru S3. I did not like the new heavy metal longer hair, he was so negative all the time. The Guy in S1 and S2 was romantic and cheeky not so bitter, All the magic was gone for me and I saw S3 twice for good measure. So maybe 3 and done were enough.

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  10. Herba schreibt:

    @Michele: Oh, I totally understood why the BBC axed it and wasn’t a big fan of the whole thing myself.
    Maybe that’s the reason why I saw all three seasons only once 🙂

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  11. Michele Marsh schreibt:

    Herba, S2 was by far my fav b/c I loved Guy and Marian together.. the dynamic, the way he looked at her, the way she knew how to placate him and press his buttons. I could watch that season over and over again

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  12. Herba schreibt:

    @Michele: I am glad you enjoyed it.
    I could never understand Guy’s attraction for this Marian, because I found her not likeable at all. She was too unmature for my liking

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  13. Michele Marsh schreibt:

    Herba, see I thought that of Robin and Marian. I thought Guy aka Richard brought more a challenge and maturity and knew Marian’s needs more than Robin

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  14. Herba schreibt:

    @Michele: GoG was more mature than these two that’s for sure. But don’t you think he took his love for Marian a bit to far?

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  15. Michele Marsh schreibt:

    Herba you know I am a sappy romantic and I think all the gifts and horse and accolades
    he gave Marian were from his heart not from pure
    desire and control over her as a possession. I think that is why I really liked
    Guy and Marian b/c I thought Guy was genuine in his feelings for her! 😊👍🌹

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  16. Herba schreibt:

    @Michele: Maybe you’re right but he should have definitely worked on showing his love 😉

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  17. Michele Marsh schreibt:

    Herba when he went up the tree to save Marian saying „Marian! I’m coming for you!“ (paraphrasing here) my heart melted!!! They had some kissy scenes too. They had great chemistry IMO but Lucy was far too youngem for him I real life

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  18. Herba schreibt:

    @Michele: Ah 14 or 15 years age gap isn’t that much….but I agree she was not mature enough for an believable relationship!

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