Frankfurt, 1963:
Eva Bruhns, die Tochter von Wirtsleuten aus Bornheim, ist diplomierte Dolmetscherin für Polnisch und arbeitet über eine Agentur für wechselnde Kunden im Wirtschaftssektor.
Doch eines Tages wird die junge Frau überraschend von der Frankfurter Staatsanwaltschaft angeheuert, um eine Zeugenaussage zu übersetzten.
Der Mann soll im ersten Auschwitzprozess, der gerade vorbereitet wird, aussagen.
Eva ist entsetzt von dem was sie hört und obwohl sowohl ihre Eltern als auch ihr Verlobter gegen ihr Engagement sind, trotzt sie ihnen und nimmt an dem Richtungsweisenden Jahrhundertprozess teil…
‚Deutsches Haus‘ ist der erste Roman der Drehbuchautorin Annette Hess, die unter anderem schon für bekannte deutsche Produktionen wie den Polizeiruf oder die Serie Ku’Damm geschrieben hat.
Ich bin allerdings nicht durch die Autorin, sondern durch das Thema auf den Roman aufmerksam geworden, den die Auschwitz-Prozesse und Fritz Bauer interessieren mich einfach immer!
Die Autorin hat, wie ich finde, sehr gut den Nerv der Zeit beschrieben. Nach einem furchtbaren Krieg, will der Großteil der Deutschen einfach nur nach vorn schauen und vergessen, was war.
Und sowieso war das ja alles ganz anders, die Leute, die von Auschwitz und anderen Lagern berichten, lügen und ‚von dem allen‘ hat man ja nichts gewußt.
Und in diese Stimmung platzte der Generalsstaatsanwalt Bauer mit seinen Prozessen…
All das wird aus der Sicht von Eva erzählt, die aus kleinbürgerlichen Verhältnissen kommt, aber durch ihren Verlobten, den Industriellen-Sohn Jürgen, die Möglichkeit hat, sozial aufzusteigen.
Und dann wird diese folgsame, junge Frau mit einem Mal aus ihrer Komfortzone geholt und mit Dingen konfrontiert, die sie in einen schweren Konflikt stürzen.
Eben auch, weil eine ganz persönliche Beziehung zu diesem Thema besteht, die Eva erst ausgraben muss.
Die Stärke des Romans liegt in den Beschreibungen und beim inneren Konflikt von Eva, als Leser konnte ich mir das Milieu und Evas Gefühlswelt wunderbar vorstellen.
Gefehlt hat mir ein wenig der Frankfurter Lokalkolorit, was aber für die Gesamtheit der Geschichte letztendlich keine Rolle spielt.
Schade fand ich, dass der Prozess sehr, sehr kurz gefasst geschildert wird und dass man als Leser Fritz Bauer nur als Schatten im Hintergrund, wenn überhaupt präsentiert bekommt.
Auch das spielt für die eigentliche Geschichte keine Rolle, schade finde ich es dennoch.
Die Figuren wirkten auf mich stellenweise ein wenig klischeehaft und einige, wie Jürgen oder Evas Schwester, fand ich einfach nur unsympathisch.
Da hätte vermutlich auch ein tieferes Einsteigen, was deren Motive angeht, nicht viel gebracht, auch wenn ich es vor allem im fall von Evas Schwester doch zu schätzen gewußt hätte, denn ihre Handlungen konnte ich so gar nicht nachvollziehen und wäre für eine Erklärung wirklich dankbar gewesen.
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Was Eva angeht bin ich enttäuscht, dass sie nach ein wenig Hin und Her doch fast gewohnt weitermacht und wieder mit Jürgen anbändelt, von dem ich bezweifle, dass er eine halbwegs selbstständige Frau akzeptieren kann.
Da hätte ich mir dann doch ein bewegenderes Ende mit tiefgreiferenden Veränderungen gewünscht. Aber vielleicht bin ich auch einfach zu sehr ein Kind meiner Zeit, so wie Eva ein Kind ihrer Zeit ist.
Insgesamt halte ich ‚Deutsches Haus‘ für einen lesenswerten Erstling mit kleinen Schwächen, der zum Nachdenken darüber anregt, wo Schuld anfängt und vielleicht auch Lust darauf macht, mehr über diese ganz spezielle Frankfurter Zeit zu erfahren.
Annette Hess bei Ullstein
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