Eigentlich hatte der dreijährige Jonathan nur wissen wollen, wieso Opa plötzlich nicht mehr da war.
Hannah, seine Mutter, hatte ihm etwas über den Lebenskreislauf, biologische Vorgänge und Blätter, die im Herbst vom Baum fallen und sich dann zersetzen, erzählt.
Daraus war Jonathan nicht wirklich schlau geworden und schaute seine Mama nun hilflos an, die genauso hilflos zurück schaute. Da betrat Jonathans Oma das Zimmer.
‚Oma, wieso ist Opa nicht mehr da? Wo ist er hingegangen? Können wir ihn am Sonntag besuchen?‘
Sonntags war Jonathan in letzter Zeit immer mit Mama, Oma und manchmal auch mit seinem Onkel ins Krankenhaus gefahren und hatte Opa besucht.
Sie hatten in der Cafeteria geseßen, die Großen hatten Kaffe getrunken und er hatte ein Stück Kuchen oder ein Eis bekommen.
‚Ach Jojo, wir können den Opa da wo er hingegangen ist nicht besuchen…‘ Die alte Frau lächelte ihren Enkel liebevoll an und strich sich verstohlen pber die feucht gewordenen Augen.
‚Aber wieso denn nicht? Ist das zu weit? Ich habe Geld gespart, das reicht bestimmt für ein Platz in einem Flugzeug. So, wie wenn Ben seine Großeltern in Amerika besucht.‘ Ben war Jonathans bester Freund aus dem Kindergarten.
‚Ich fürchte, den Ort, an dem Opa jetzt ist, fliegt keine Fluggesellschaft an!‘
‚Aber…‘
‚Dein Opa ist gestorben…‘
‚Mutter, ich will nichts über Gott hören!!!!‘
‚Schon gut Schatz!‘ Die alte Frau schaute ihre einzige Tochter nachsichtig an. Sie war Naturwissenschaftlerin durch und durch, hatte schon sehr früh den Glauben ihrer Eltern über Bord geworfen und erzog ihren Sohn ganz ohne Gott, Gebete oder ‚dieses ganze andere Gedöns‘.
Aber wie sollte man einem Dreijährigen erklären, was Tod bedeutete? Die naturwissenschaftliche Variante hatte Jonathans Fragen jedenfalls nicht beantwortet.
Sie setzte sich neben Jonathan aufs Sofa und legte dem kleinen Jugen die Hand auf den Oberschenkel, um ihm zu signalisieren, daß sie seine Fragen ernst nahm.
‚Dein Opa ist gestorben. Und wenn wir sterben, dann gehen wir über die Regenbogenbrücke, die man eben nur sieht, wenn man gerade gestorben ist.
Am Ende der Regenbogenbrücke steht das große Wolkenschloß. Dort hat jeder, der gestorben ist ein Zimmer, das genau so eingerichtet ist, wie der betreffende Mensch das gerne möchte.
Rund um das eigene Zimmer wohnen Menschen, die vor uns gestorben sind und die wir sehr gern haben und mit denen wir gerne sprechen und viel Spaß haben.
Und wenn wir das wollen, treffen wir auch unsere Haustiere wieder, können wieder mit der alten Hauskatze auf dem Sofa sitzen oder mit unserem Hund spazieren gehen.
Nachts zündet jeder in seinem Fenster eine Kerze an, die warmes Licht verbreiten und die wir Menschen hier als Sterne am Himmel sehen können.
Auch in den Zimmern, die noch nicht bewohnt werden, werden manchmal Kerzen angezündet, daß heißt, daß der Bewohner sich bald auf den Weg macht und die Kerze ihm den Weg weist.
Und manchmal entscheidet jemand, daß es für den neuen Bewohner doch noch zu früh ist, um ins Wolkenschloß am Ende der Regenbogenbrücke umzuziehen.
Dann darf jemand aus einem der Nachbarzimmer die Kerze aus dem Fenster schubsen und jeder hier, der so eine fallende Kerze am Nachthimmel sieht, darf sich etwas wünschen.
Im Wolkenschloß am Ende der Regenbogenbrücke geht es jedem Bewohner gut, niemand hat Schmerzen oder Sorgen und keiner streitet. Alle leben friedlich zusammen und genießen ihr Leben.‘
Jonathan schaute seine Oma nachdenklich an. Sein Opa war lange krank gewesen und fand es nun sicher toll, keine Schmerzen mehr zu haben.
‚Gibts da auch Wein?‘ wollte der Kleine wissen.
Seine Oma lachte. ‚Ja, natürlich gibts da auch Wein. Und einen gemütlichen Sessel, in den sich Opa setzten kann, um ihn zu trinken.‘
‚Dann sollte ich mich wohl für Opa freuen….‘
‚Es ist okay traurig zu sein, weil er nicht mehr bei uns ist. Ich bin auch traurig!‘
Jonathans Oma konnte sehen, wie es in seinem Hirn ratterte.
An diesem Abend sprach der kleine Junge nicht mehr viel und weder seine Oma, noch seine Mutter waren sich sicher, daß die Geschichte wirklich seine Fragen beantwortet hatte.
Aber am nächsten Tag fanden die Erwachsenen ein selbst gemaltes Bild, das einen Mann in einem Sessel zeigte, der auf einer Wolke stand, die von einem riesigen Regenbogen überstrahlt wurde. Der Mann lachte und sah rundum glücklich aus.
Jonathans Mutter drückte der Oma fest die Hand und die Oma pinnte das Bild mit einem versonnenen Lächeln an die Pinnwand in der Küche.
Dabei murmelte sie: ‚Auf bald im Wolkenschloß hinter der Regenbogenbrücke!‘
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Für EL und seinen kleinen Bruder E, die nun hoffentlich wieder gemeinsam Rotwein im Wolkenschloß am Ende der Regenbogenbrücke trinken!
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Dieser Text ist für das Gemeinschaftsblogprojekt von Poe und mir entstanden.
Das Thema war ‚Mach was…mit Wolken‘.
Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Menschen sind rein zufällig und vollkommen unbeabsichtigt!
Gesamter Text © Herba für ‚Unkraut vergeht nicht…oder doch?‘
Bitte nicht ungefragt zitieren oder weiterverwenden!!!
Ich glaube, mir ist da gerade was ins Auge geflogen …. 😥
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Sehr sehr schön
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Toller, sehr rührender Text. *Tränchen wegwisch*
Und genau deshalb lesen wir so gerne hier mit! Und aus diesem Grunde haben wir Herba auch für den Mystery Blogger Award nominiert. 🙂 Lust, teilzunehmen?
https://dreipunktecharlie.wordpress.com/2017/10/05/the-mystery-blogger-award/
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Ich glaube, es herrscht Sandsturm, ich hab auch etliches im Auge *schnief*
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Mir ist auch was davon ins Auge geflogen. *blinzel-blinzel* So schön erklärt – das nimmt einem tatsächlich die Angst. Sehr berührend.
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@Katja: Vorsicht Verletzungsgefahr, wenn Du nichts siehst ;P
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@Pö: Danke :*
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@DreipunkteCharlie: Awwwwww, das ist aber lieb, vielen Dank!!!
Wenn es nicht schon zu spät ist, mache ich gerne mit.
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@DoomKitty: Komisch, von einem Sandsturm in Deutschland haben die in den Nachrichten gar nichts erwähnt 😉
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@rina.p: Danke schön!
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Es ist nie zu spät- 😉
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