Die Wut des Selfmademan

Mit erhobenem Haupt verließ er das herrschaftliche Anwesen und stieg in den wartenden Wagen ohne sich noch einmal nach ihr umzudrehen.
Mit neutralem Gesicht brachte er nach außen hin ruhig die Fahrt zum Bahnhof und die anschließende Zugreise zurück nach London hinter sich.
Nach einem kurzen Spaziergang durch die geschäftigen Straßen der Hauptstadt erreichte er das große, mehrstöckige Verlagsgebäude, erklomm forschen Schrittes die Treppe, nickte den Angestellten, denen er begegnete knapp zu, informierte seinen Sekretär, der vor seinen Büroräumen saß und etwas hatte sagen wollen, als er den Chef auf sich zukommen sah: ‚Ich will nicht gestört werden!‘ und schloss die zweiflügelige Tür seines Büros hinter sich.

Immer noch gefaßt, goß er sich einen Drink ein und ließ sich den goldbraunen Whisky die Kehle hinunterfließen, obwohl es erst früher Vormittag war.
Erst als das Glas leer war, verlor Sir Richard Carlisle die Fassung, warf den schweren Tumbler mit einem kurzen, wütenden Aufschrei an die Wand und sah befriedigt zu, wie das Glas an der dunklen Holzvertäfelung in tausend Stücke zersprang.

Wie konnte es diese kleine Aristokratengöre wagen, so mit seinen Gefühlen zu spielen?!
Carlisle marschierte aufgeregt hinter seinem wuchtigen Schreibtisch hin und her und donnerte dann seine Faust auf die Tischplatte.
Er hatte dieser Frau seine Welt zu Füßen legen wollen und sie spielte mit ihm, um ihn am Ende für diesen blassen, kuhäugigen Anwalt abzuservieren.

Der Zeitungsmagnat nahm seinen Marsch hinter dem Schreibtisch wieder auf und knurrte halblaut in sich hinein:
‚Das wirst Du mir büßen Mary Crawley! Ich werde Dich vernichten!!!! Dich und die ganze hochnäsige Downton-Bagage! Du wirst Dir wünschen mir nie begegnet zu sein!
Wenn ich mit Dir fertig bin, wird niemand aus der ach so feinen Gesellschaft auch nur ein Wort mit Dir wechseln, weil jeder von Deinem kleinen Pamuk-Abenteuer wissen wird!!!!
Das wird dich lehren SO mit mir umzuspringen und auf meinen Gefühlen herumzutrampeln!!!‘

Immer noch wütend, aber auch leicht resigniert ließ sich Sir Richard in seinen gepolsterten Bürosessel fallen und holte tief Luft, um sich etwas zu beruhigen.
Seine Gedanken rasten und sein wacher Verstand sponn einen Racheplott nach dem anderen, um seinen verletzten Gefühlen Genugtuung zu verschaffen.
Doch dann meldete sich wie aus dem Nichts eine Stimme in seinem Kopf zu Wort und flüsterte:
‚Hat Mary denn wirklich Deine Gefühle verletzt? Oder ist es nicht eher so, daß Deine Wut das Ergebnis eines angekratzten Egos ist?‘
Diese Stimme klang sehr nach seiner toten Mutter und hatte über die Jahre öfter als sein Gewissen fungiert, wenn er bei seinen Geschäften all zu skrupellos geworden war.

Carlisle hatte sich immer von ihr besänftigen lassen, doch heute war sie unwillkommen.
Er WOLLTE wütend auf Mary sein! Er WOLLTE Rache üben! Schließlich hatte er Mary geliebt, liebte sie noch…oder?
Mary war jung und hübsch, intelligent und von adliger Herkunft, also alles, was er sich je von einer Frau gewünscht hatte. Sie hätte ihn wieder ein oder zwei Stufen auf der gesellschaftlichen Leiter nach oben befördert, ihm dabei helfen können sich standesgemäß zu benehmen und ihre Kinder wären dann vielleicht sogar schon den Hauch der Neureichen losgewesen.

‚Aber ist das wirklich Liebe?‘ fragte die Stimme seines Gewissens. ‚Und reicht das für eine glückliche Ehe?‘
Natürlich hätte das gereicht, da war sich Sir Richard sicher! Mit ein bißchen gutem Willen hätten Mary und er eine gute Ehe führen können.
Seine Eltern waren schließlich auch glücklich gewesen und hatten somit ein gutes Vorbild abgegeben. Sie lachten viel miteinander, auch wenn das Geld mal wieder knapp war, neckten sich und beendeten manchmal sogar die angefangenen Sätze des anderen.

Nun schlich sich doch leichter Zweifel ein. Wußte er überhaupt genug über Mary, um so vertraut mit ihr umgehen zu können?
Was war ihre Lieblingsspeise? Mochte sie Musik? Las sie gerne?
Wenn Carlisle ehrlich war, konnte er alle diese Fragen nicht beantworten. Er hatte sich darüber noch nie Gedanken gemacht und wenn er ganz ehrlich zu sich selbst war, interessierte es ihn auch nicht wirklich.

Er hatte Mary nicht zum Lachen bringen wollen, hatte sich nie darauf gefreut nach der Heirat mit ihr beim Frühstück zu sitzen und sich vielleicht eine Zeitung zu teilen.
Er hatte sie als Trophäe haben wollen, als weiteres Statussymbol, als Zeichen seines anhaltenden Erfolgs, nicht um ihrer selbst willen und ihm wurde klar, daß ihn das auf Dauer nicht wirklich zufrieden gemacht hätte.

Und doch sehnte er sich nach der Vertrautheit, die zwischen seinen Eltern geherrscht hatte, nach diesem tiefen Verständnis zwischen zwei Menschen, die sich gegenseitig stützten und gute wie schlechte Zeiten miteinander teilten.
Carlisle verzog das Gesicht zu einem ironischen Grinsen.
Nein, wenn er wirklich ehrlich war, war Mary vermutlich die letzte Person mit der er diesen Zustand auch nur annähernd erreicht hätte.
Vielleicht wurde es Zeit für ihn geschäftlich weniger umtriebig zu sein und sich stattdessen auf die Suche nach einer Frau zu machen, die ihm nicht nur Statussymbol, sondern auch Geliebte, Freund und Gefährte werden konnte.
Ob es so jemanden überhaupt für ihn geben würde???

‚Tja, es wird mal wieder Zeit nach den Sternen zu greifen!‘ sagte der Millionär zu sich selbst. ‚Aber vorher sollte ich mich vielleicht noch um das aktuelle Tagesgeschäft kümmern. Erst die Arbeit, dann das Vergnügen!‘
Carlisle straffte die Schultern, rieb sich die Hände und wandte sich den Akten auf seinem Schreibtisch zu…

* * * * * * * * * * * * * * * * *


Dieser Text ist für das Gemeinschaftsblogprojekt von Poe und mir entstanden. Das Thema war ‚Mach was…mit meiner Lieblingsserie‘ und inspiriert wurde die Geschichte von einer Figur aus der zweiten Staffel von Downton Abbey.

Gesamter Text © Herba für ‚Unkraut vergeht nicht…oder doch?‘
Bitte nicht ungefragt zitieren oder weiterverwenden!!!

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25 Antworten zu Die Wut des Selfmademan

  1. Die Poe schreibt:

    Schon beim ersten Satz dachte ich:“Downton Abbeyyyy! Wie geiiiiil!“ 🙂

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  2. CraMERRY schreibt:

    Ja, der Iain… 😀

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  3. suzy schreibt:

    Ehrlich gesagt hatte ich Downton nicht so schnell auf dem Plan. Das habe ich schon ewig nicht mehr gesehen. Sehr anschaulich! Man sieht ihn förmlich vor sich sitzen!

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  4. Herba schreibt:

    @Poe: Hihi, freut mich, wenns Dir gefallen hat 🙂

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  5. Herba schreibt:

    @CraMERRY: Neeeee, der Richard! Der Iain ist ein ganz netter, bescheidener Typ, der packt den Richard höchstens irgendwann mal aus, wenn seine Töchter den ersten Freund mit nach Hause bringen 😉

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  6. Herba schreibt:

    @Suzy: Ich würde DA auch nicht als Mega-Lieblingsserie von mir beschreiben, dazu hab ich mich viel zu oft über bestimmte Handlungsstränge aufgeregt (und die letzten beiden Staffeln auch noch gar nicht gesehen), aber die Staffel mit Iain hab ich um Ostern rum zufällig nochmal im Fernsehen erwischt und das hat mich inspiriert.
    Und da ich immer schon fand, daß Sir Richard Unrecht getan bzw zu schnell abserviert wurde, ließ sich das ganz gut umsetzten 🙂

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  7. Guylty schreibt:

    Sehr schön. Ich musste auch erstmal tief in meinem Gedächtnis kramen, bis ich den Namen Sir Richard Carlisle irgendwo untergebracht hatte. Ne tolle Serie! Und eine passende Geschichte für euer Projekt, wie auch für Sir Richard.

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  8. Pingback: Gemeinschaftsblogprojekt ‘Mach was!’ – Ergebnis #15 und neues Thema | Unkraut vergeht nicht….oder doch?

  9. Herba schreibt:

    @Guylty: Das wundert mich nicht, er war ja nur eine kleine Fußnote im DA-Universum und von den meisten Zuschauern eher gehaßt als geliebt 🙂
    Danke schön!

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  10. Guylty schreibt:

    Ich gebe zu, Iain Glen ist bei mir auch nur auf dem Schirm, weil er einer deiner Lieblingsschauspieler ist 🙂

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  11. Herba schreibt:

    @Guylty: Na, da hat mein Glen-Fangirl ja schon gute Aufklärungsarbeit geleistet, hihi! 🙂

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  12. CraMERRY schreibt:

    @guylty+herba: tja, ein ständig sich gegenseitiges Befruchten hier 😂

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  13. Guylty schreibt:

    Hör bloß auf…

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  14. CraMERRY schreibt:

    @guylty: Fass ohne Boden, schon klar! Stichwort Weltom 😂

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  15. Guylty schreibt:

    Kannst du mich noch mal eben erinnern, woher „Weltom“ kommt? Hiddles, schon klar, aber was war das mit dem „wel“?

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  16. CraMERRY schreibt:

    Das Balkonbild aus Highrise mit der Illustrierten überm Gemächt, auf dem Welcome steht. Aber lass nur, ich erzähle es gerne immer wieder aufs neue 😂

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  17. Guylty schreibt:

    Ah, jetzt, ja. Stimmt ja. Sorry, ich vergesse immer, dass Hiddles auch als Sexobjekt gilt…

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  18. CraMERRY schreibt:

    Gut gebrüllt Löwe 😂

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  19. Herba schreibt:

    @CraMERRY: Ja, manchmal klappts 🙂

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  20. Herba schreibt:

    @Guylty: CraMERRY hat ihre kindliche Seite ausgebuddelt und das ‚Welcome‘ auf dem Magazin, das die edlen Teile von Hiddles in dem Promopic für High-Rise bedeckt, in Kindersprache übersetzt 🙂

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  21. Herba schreibt:

    @Guylty: Als Sexobjekt, von dem man schneeblind wird, so käsig wie der ist 😉

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  22. Guylty schreibt:

    Aw, armer Hiddles…

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  23. Guylty schreibt:

    Also doch Babysprache… mir schwante da schon was. Das könnte man ja jetzt psychotherapeutisch weit auswalzen…

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  24. CraMERRY schreibt:

    @guylty: na auf DEN Ansatz bin ich aber gespannt. *komm doch, komm doch* 😂

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  25. Guylty schreibt:

    Hehe, nee, nich hier… 😳

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