Tulip Station

Der Einsatz dieses Tages war komplette Zeitverschwendung gewesen. Daniel Miller hatte von Anfang an nicht viel von diesem Observationsauftrag gehalten, aber da er ganz neu in Berlin stationiert und bisher auch nur als Analyst im Büro tätig gewesen war, hatte Valerie Edwards, die Leiterin des Berliner Büros alle seine Einwände beiseite gewischt.
Mitten in der Nacht hatte ihn Hector DeJean, der erfahrene Agent, der als sein Mentor in Berlin fungierte, aus dem Bett geholt, ihm die Details erklärt und ihm schließlich augenzwinkernd eine grüne Schürze in die Hand gedrückt.

„Die sind gerade der letzte Schrei in der Branche. Leider habe ich keinen Gärtner-Pötschke-Hut dazu bekommen, aber ich denke es wird auch so gehen!“
Hector feixte.
So fokusiert und ernst der erfahrene Agent war wenn es ernst wurde, so albern konnte er privat werden und er ließ keine Gelegenheit aus Daniel, ganz liebevoll wie er selbst behauptete, auf die Schippe zu nehmen.

„Hör zu!“ Nun war Hector ernst und ganz Profi. „Der Einsatz ist ein schlichter Überwachungseinsatz. Du gehst da hin, behälst das entsprechende Gelände im Auge, schaust, ob unser Mann auftaucht und wenn ja, was er dann tut, greifst aber nicht ein und nebenbei verkaufst Du Schnittblumen und Kräuter. Alles ganz easy-peasy!“

„Easy-Peasy? Was ist das denn für ein bescheuerter Ausdruck?!“ Bevor Hector zu einer seiner ausschweifenden und meist recht schnell ins Alberne abgleitenden Erklärungen ansetzten konnte, unterbrach ihn Daniel:
„Schon gut, schon gut! Ich will es gar nicht wissen! Aber Mensch, Hector, ich hab keinen blassen Dunst von Blumen und mein Deutsch ist jetzt auch nicht gerade das Flüstigste. Wäre es nicht sinnvoller jemand anderen einzusetzten?“

„Öhm, darf ich Dich daran erinnern, daß Du vor nicht allzu langer Zeit an Deinem ersten Tag in Berlin eine brennende Rede gehalten hast, in der die Rede war von: Vertrauen in Dich, Mut zum Risiko und einem Analyst, der auch im Außeneinsatz ein Gewinn sein kann!
Und nun willst Du einen Rückzieher machen, weil Du dich nicht gut genug vorbereitet fühlst oder Angst hast, Deine Zeit zu verschwenden?“
Daniel wollte etwas erwidern, aber nun war es Hector, der abwinkte und einfach weitersprach.
„So funktioniert unser Geschäft nicht, Jungchen! Mir sind Ops auch lieber, auf die ich mich vorbereiten kann und bei denen ich mir nicht den ganzen Tag den Hintern platt sitzen muss.
Aber die Wirklichkeit sieht nun einmal leider allzu oft anders aus. Dann hat man nur zwei Möglichkeiten, entweder man nimmt die Herausforderung an, gibt 120 Prozent und hofft darauf, daß einem die Scheiße nicht um die Ohren fliegt oder man zieht den Schwanz ein, wartet auf das sprichwörtliche bessere Wetter und riskiert dabei von den bösen Jungs abgehängt zu werden. Es liegt ganz bei Dir!“

Daniel schnaubte. Als ob er nach dieser Ansage noch einen Rückzieher machen würde. Er schnappte sich seine Jacke und die grüne Gärtnerschürze und ließ sich von Hector in der Nähe des Wochenmarkts, auf dem er spionieren sollte absetzten.

Am betrefenden Stand angekommen, kam ein kleiner, dicker Mann auf ihn zu und begrüßte ihn jovial auf Deutsch.
„Du mußt der Freund von Hektor sein, der sich ein bißchen Geld verdienen will. Daniel, stimmts? Ich bin Peter, aber hier nennen mich alle Tulpen-Piet, weil ich immer der Erste bin, der nach der Winterpause Tulpen anbietet. Und dazu noch die Besten in ganz Berlin, ungelogen!!!“

Daniel fühlte sich durch den Wortschwall in der ihm noch recht fremden Sprache leicht überfordert und war froh, als Tulpen-Piet ihm zeigte, wie die Blumen und Kräuter aus einem großen Anhänger auszuladen und für den Verkauf zu arrangieren waren.
Kaum hatten die beiden Männer alles so weit fertig, wurde es um sie herum lebhafter und die ersten Kunden marschierten zwischen den Marktständen umher.
Daniel schaute sich immer wieder unauffällig um, konnte die Zielperson, die vermutlich Kontakt mit der undichten Stelle hatte, der er auf der Spur war, aber nirgendwo entdecken.

Und gut eine Stunde nachdem der Verkauf gestartet war, hatte Daniel nicht mehr wirklich Muse sich auf die Observation zu konzentrieren, denn die Leute standen vor Tulpen-Piets Stand Schlange, um sich mit Blumen und Kräutern einzudecken und er hatte alle Hände voll zu tun, Piet beim Verkaufen zu unterstützen.
Der erfahrene Händler flirtete schamlos mit den weiblichen Kunden und sprach kumpelhaft mit den Männern, hatte für wirklich jeden einen flotten Spruch auf den Lippen und ließ sich auch von einem Kerl, der mit ihm um den Preis von 30 Tulpen feilschen wollte, nicht aus der Ruhe bringen.
Daniel hatte da schon weit mehr Mühe, versuchte zwar freundlich und lächelnd die Wünsche der Kunden zu erfüllen, hielt sich aber ansonsten sehr zurück und als eine ältere Dame den gut gebauten neuen Verkäufer mit den schönen blauen Augen und den Künstlerhänden bei Piet lobte, konnte er seine Verlegenheit kaum überspielen, was widerum Piet extrem lustig fand und ihn nun dauernd damit aufzog.

Zum Glück stand gegen vierzehn Uhr Hector vor ihm, um ihn von seinem ersten Undercovereinsatz zu erlösen.
„Na Piet, wie hat sich der Grünschnabel gehalten?“
„Darf gern wiederkommen, Hector. Deine Freunde sind mir hier immer willkommen und er hat sich wirklich tapfer geschlagen! Nur die Frau Kanopke, die war ihm ein bißchen aufdringlich.“
Tulpen-Piet lachte, drückte Daniel 50 Euro in die Hand und schenkte ihm außerdem noch einen großen Bund bunter Tulpen.
„Damit Du mich nicht so schnell vergißt und mal wiederkommst, Jungchen!“
Nach allgemeinem Schulterklopfen und dem Versprechen von Hector bald mal auf ein Bier in die Stammkneipe von Piet zu kommen, machten sich die beiden Amerikaner auf den Weg zu Hectors Wagen, das er in einer Seitenstraße geparkt hatte.

„Und? Was hat sich ergeben?“
„Leider absolut gar nichts“, mußte Daniel einräumen. „Die Zielperson war weit und breit nicht zu sehen und auch sonst habe ich nichts Verdächtiges bemerkt. Der Einsatz war vollkommen für die Füße!“
Genervt kickte Daniel mit dem Fuß gegen einen Stein, der auf dem Bügersteig lag und nun klackernd davon rollte.

Hector wollte etwas erwidern, schaute sich aber suchend um, als hätte er irgendetwas bemerkt und dann ging alles ganz schnell.
Ein Kleintransporter hielt mit quietschenden Reifen neben den beiden Männern am Bordstein und aus der Menschenmenge tauchten wie aus dem Nichts vier bewaffnete Männer auf, die sich Hector und Daniel in den Weg stellten.
Bevor die beiden Männer irgendetwas unternehmen oder groß Gegenwehr leisten konnten, bekamen sie von hinten schwarze Säcke über den Kopf gestülpt, wurden in den Transporter gezerrt und mit jeweils einer Spritze in den Hals ruhig gestellt, als das Auto auch schon um die Ecke schoß und im dichten Berliner Stadtverkehr verschwand.

Und auf dem Bürgersteig blieb nur ein Haufen bunter Tulpen und Passanten, die sich fragten, ob sie Zeuge eines der vielen Filmdrehs in der Stadt geworden waren, zurück…

* * * * * * * * * * * * * * * * *


Dieser Text ist für das Gemeinschaftsblogprojekt von Poe und mir entstanden. Das Thema war ‚Mach was…mit Tulpen‘.
Inspiriert wurde die Geschichte von diesen Bildern einer möglichen Entführung, die bei den Dreharbeiten zu der amerikanischen Serie ‚Berlin Station‚ in Berlin entstanden sind.
Ich besitze keinerlei Insiderwissen zur Serie und/oder den Dreharbeiten und habe einfach ein wenig um die wenigen Infos, die es bis jetzt gibt, herumspekuliert bzw. diese frei in dieser kurzen Geschichte interpretiert.

Gesamter Text © Herba für ‚Unkraut vergeht nicht…oder doch?‘
Bitte nicht ungefragt zitieren oder weiterverwenden!!!

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23 Antworten zu Tulip Station

  1. Guylty schreibt:

    Kicher – Daniel Miller als Marktschreier-Assistent. Das ist wirklich mal ne schöne Idee. Obwohl die ja schon an dem grundsätzlichen Problem scheitert, dass Miller absolut ungeeignet für das unauffällige Observieren ist. Ich mein, „unauffällig“ und DER???? Vielleicht nur mit nem schwarzen Sack auf’m Kopp.
    Schöne Frühlingsgeschichte aus eurer Kreativserie! Bin gespannt, was noch kommt!

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  2. Uinonah72 schreibt:

    Ahhh, Frühlingsgefühle 😉

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  3. suzy schreibt:

    Das schreit ja nach einer Fortsetzung! Auf welchen Markt muss ich dafür – natürlich nur zum einkaufen?

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  4. Die Poe schreibt:

    Ich weiß zwar nicht worums geht, aber mir hat’s gefallen

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  5. nellindreams schreibt:

    Autsch… Die Spritze in den Hals … Super Idee, Herba! Endlich weiß ich, worum es auf diesen Sack-Über-Den-Kopf-Bildern vor einiger Zeit ging. Schade, hätte meine Tulpen auch gerne bei dem netten Herrn gekauft. 🙂
    Danke!

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  6. DoomKitty schreibt:

    Tolle Idee und Klasse Umsetzung! Gefällt mir trotz leichter Krimi-Aversion wirklich gut 🙂

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  7. Herba schreibt:

    @Guylty: Uuuuups, da hatte ich doch glatt aus unsrem Müller einen Meier gemacht 😉
    Doch, doch, das mit dem unauffällig klappt schon, das muss einfach jeder Agent können!!!
    Danke schön, ich bin auch sehr gespannt wie kreativ es weitergeht 🙂

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  8. Herba schreibt:

    @Uinonah: Ja, wenn die Tulpen tief fliegen, wird es definitiv Frühling 😉

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  9. Herba schreibt:

    @Suzy: Puuuuh, dafür bräuchte ich dann aber entweder mehr Infos zum Herrn Miller und seiner Mission oder ich muss wirklich mega-kreativ werden und mir was ganz Neues ausdenken….
    Willst Du Mal Tulpen-Piet ‚Guten Tag‘ sagen? Sein Gehilfe hockt ja nun in einem Kleintransporter mit Sack überm Kopf 😉 😀

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  10. Herba schreibt:

    @Poe: Das macht gar nichts, ich hatte auch nur die Namen und die Paparazzi-Bilder, alles andere ist noch streng geheim 🙂
    Dank Dir!

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  11. Herba schreibt:

    @Nell: Ich wollte die beiden Herren eigentlich erst mit dem Lauf einer Pistole niederschlagen lassen, da war die Spritze in den Hals doch eigentlich viel netter 😉
    Hihi, ich bin gespannt, ob der Herr Steinhauer in seiner Version auch Tulpen sprechen läßt 😀 Vermutlich sitze ich dann irgendwann mal vorm Bildschirm und schreie bei der Szene ‚Nein, nein, nein! Das ist alles FALSCH!!!‘ *kicher*
    Bitte schön!

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  12. Herba schreibt:

    @DoomKitty: Danke schön! Ist doch auch kein Krimi, ist ein Spionage-Thriller 😉

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  13. nellindreams schreibt:

    Ja, noch ein Grund mehr, die Serie minutiös zu verfolgen!

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  14. Herba schreibt:

    @Nell: Wenn das außerhalb von Amerika irgendwann irgendwie möglich ist, ganz sicher!

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  15. nellindreams schreibt:

    Eigentlich wäre es ja ein Ding, wenn ausgerechnet diese Serie hier NICHT zu sehen wäre! Ich befürchte aber irgendwelche Pay-TV-Geschichten, um die ich mich bisher immer herum gedrückt habe…

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  16. Herba schreibt:

    @Nell: EPIX ist auf jeden Fall nur in den USA nutzbar. Man kann nur hoffen, daß sie die Serie schnell (und erfolgreich) international vermarkten. Von mir aus auch über Netflix, AmazonVideo oder Sky. Aber nichts genaues weiß man halt mal wieder nicht 😦

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  17. nellindreams schreibt:

    Eben. Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass Epix nach der Zusammenarbeit mit Babelsberg auch internationale Vertriebsmöglichkeiten sucht und finden wird. Siehe Netflix und Konsorten. 😉

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  18. Herba schreibt:

    @Nell: Dass Epix international vermarkten möchte, bezweifle ich nicht, aber das wollen auch die Macher von ‚Urban’… 😉

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  19. nellindreams schreibt:

    Oh, da sehe ich aber vollkommen unterschiedliche Ausgangspositionen, oder? Hinter BS steht Paramount… Hinter Urban Candida Brady…

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  20. Herba schreibt:

    @Nell: Paramount ist sicher eine andere Hausnummer als eine Indie-Filmemacherin, aber wie viel das letztendlich ausmacht, kann ich als Filmvertriebslaie nicht beurteilen.
    Ich kann nur das Beste hoffen und versuchen halbwegs positiv zu bleiben, was die Möglichkeit RAs Projekte zu sehen angeht…

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  21. Hariclea schreibt:

    echt nett, mal hoffen das das Ende nur Spiel war 😉 ich wurde ihm gern beim Blumenarrangieren/Binden zusehen 🙂 Ganz konzentiert und vorsichtig mit den Handen 😉

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  22. Herba schreibt:

    @Hari: Danke!
    Die Hände zum Blumenbinden hätte er, aber ob er auch wirklich ein Händchen für Grünes hat???

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  23. Pingback: Berliner Zeitung veröffentlicht heute die ersten Promobilder zu ‘Berlin Station’ | Unkraut vergeht nicht….oder doch?

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