Der verhinderte Ausreißer

Marc hatte die Nase voll! Immer hackten alle auf ihm herum. Nie konnte er es ihnen recht machen und immer wurde der Nervsack, sein doofer kleiner Bruder bevorzugt.
Das machte ihn SO wütend!
Na ja, zugegebenermaßen hatte er manchmal das Gefühl, daß die Wut zuerst kam, er irgendetwas Dummes tat, um sie loszuwerden und dann geschimpft wurde, aber das spielte keine Rolle.

Sollten sie ihn nicht trotzdem lieb haben?! Ihn in den Arm nehmen?! Ihm versichern, daß alles gut werden würde und das sie immer für ihn da sein würden?!
Aber er wurde ja nun bald 14 und da mußte er langsam lernen vernünftig zu handeln.
Zumindest betonte das sein Vater, wenn ihm Marc einfiel, was jetzt auch nicht sooo oft vorkam.
Schließlich war sein Vater der Mann im Haus, der das Geld nach Hause brachte und erwartete, daß sich seine Frau um den Rest kümmerte, einschließlich des pubertierenden Sohns, der nur Probleme machte.

Marcs Mutter kümmerte sich wirklich viel um ihn und den kleinen Nervsack. Aber manchmal war sie einfach müde und weil Marc eben der Große war, mußte er dann Verständnis dafür aufbringen, daß der Nervsack die kostbare Mamazeit für sich beanspruchte und für Marc nur noch wenig davon übrig blieb.

Daher hatte er nun den Entschluss gefaßt zu verschwinden. Sein Rucksack war gepackt und so schlich er sich durch das leise Haus bis zur Hintertür in der Küche, die in den dunklen Garten führte.
Bevor er die Tür öffnete, schaute er sich noch einmal ganz genau in dem freundlichen Raum um, erahnte die Umrisse der wohlvertrauten Möbel und roch den typischen Duft, eine Mischung aus warmen Keksen, frischen Zitronen und frisch gewaschener Wäsche.
Dann seufzte Marc schwer und mit einem leichten Anflug von Bedauern öffnete er die Tür.
Egal wie schwer es ihm fiel, er mußte gehen, um wenigstens eine kleine Chance darauf zu haben, die Enge, die ihn in letzter Zeit zu ersticken drohte, abzuschütteln.

Auf Zehenspitzen ging der Teenager, dessen Bewegungen seit einiger Zeit so ungelenk aussahen, weil durch einen Wachstumsschub Arme und Beine nicht mehr recht zusammenpassen wollten, hinaus, schloss leise die Tür und huschte durch den Garten, bis zum hinteren Ende des Gartenzauns.
Dort verdeckte ein großer alter Baum die Sicht, so das man ihn vom Haus nun nicht mehr sehen konnte.
Außerdem hatte Marc hier seit Jahr und Tag einen Geheimausgang, durch den er schon früher hinausgeschlüpft war, um am Waldrand zu spielen.
Gerade als Marc seinen Rucksack absetzte, um das lose Brett im Zaun zur Seite zu schieben und nach draußen zu krabbeln, raschelte es im Gebüsch und er schaute sich suchend um, um festzustellen, was dieses leise Geräusch verursacht hatte.
Doch mit dem was er entdeckte, hatte er nicht gerechnet!

Ein merkwürdiges Wesen mit grünem Fell, zwei babyblauen Stielaufen und einem lustigen Schwanz schob sich aus dem Busch, starrte ihn an und fragte:
‚Wer bistn Du? Un was machstn Du hier?‘
Marc hatte es die Sprache verschlagen und so konnte er nur ‚Öhm…..was? Wer? Ich?‘ vor sich hin brabbeln.
Das merkwürdige Wesen schaute ihn skeptisch an.
‚Biste einfach dämlich oder is Dir mal was aufn Kopf gefallen? Bei mir daheim gibts solche un solche!‘
‚He! Was soll denn das? Ich bin nicht dämlich!!!‘
‚Na gut, auch recht. Un wer biste nu?‘
‚Ich heiße Marc und wer bist Du?‘
‚Ich heiß Modiglianifrihowoluweguiso.‘
‚Wie bitte?‘
‚Na Modiglianifrihowoluweguiso. Doch aufn Kopf gefallen was?!‘
‚Das ist doch kein Name!‘
‚Türlich isses das! Kann ja keiner was für, wenn Du den nich kennst! Aber so sin se, die Nacktrenner hier auf dem Planet. Sagt mein Onkel Fritz auch immer!‘
‚Dein Onkel heißt Fritz?‘
‚Fritz is nur die Abkürzung, den Rest kannste Dir eh nich merken! Am besten nennste mich Mo. Sonst stehn wir morgen noch hier!‘

Marc war immer noch erstaunt und vielleicht auch ein klein bißchen ängstlich, aber das Stielauge sah eigentlich nicht wirklich gefährlich aus und außerdem würde er schon mit dem circa 1,20 m großen Grünling fertig werden.
Schließlich war es für ihn ja auch kein Problem den Nervsack unter Kontrolle zu bringen.
Zur Not setzte man sich einfach drauf und die Sache war erledigt. Mo starrte ihn weiterhin an.

‚Un was machste nu hier? Nacktrenner sind eigentlich nich im Dunkeln unterwegs, sagt mein Onkel Fritz!‘
‚Ich gehe weg von hier!‘
‚Warum?‘ ‚Sag mal, fragst Du immer so viel?‘
‚Ja, weil wer nicht fragt, fragt nix, sagt mein Onkel Fritz!‘
‚Aha!‘ Mehr fiel Marc zu der merkwürdigen Aussage von Mos Onkel Fritz nicht ein.
‚Woher kommst Du denn eigentlich?‘
‚Ich? Na vom Planet Viridis, das sieht man doch!‘
Marc machte große Augen. ‚Dann bist Du ja ein Außerirdischer!‘
‚Na wasn sonst? Biste Dir ganz sicher, daß Dir nix aufn Kopf gefallen ist?‘
Mo schaute ihn misstrauisch an. ‚Nein, mir gehts gut – WIRKLICH! Ich hab nur noch nie ein Alien getroffen.‘
‚Al was? Ach, vergiss, daß ich gefragt hab! Wo gehstn hin?‘
‚Weiß noch nicht….kann ich vielleicht mit Dir mitkommen? Ich wollte schon immer mal ein Raumschiff von innen sehen!‘
‚Neeeee, das geht nich. Onkel Fritz nimmt keine Anhalter mit, da is der eisern. Außerdem sin wir voll bis zum Dach un das is echt kein Spaß, weil nämlich Ritschie die Karte liest und wir uns ständig deswegen verfahrn. Du mußt wissen, daß dem vor 123 Jahren mal die Klappe von Onkel Fritzens Raumschiff auf die Rübe geknallt is un seitdem isser ein bißchen komisch, wenn Du verstehst was ich mein!‘
Mo ließ seine großen blauen Augen kullern, was sehr lustig aussah und Marc ein breites Lächeln aufs Gesicht zauberte.

‚Seit ihr schon lange unterwegs?‘
‚Nöööö, erst so gut drei Jahre. Aber weil Ritschie auch für den Proviant zuständig war, geht uns bald das Essen aus, deswegen müssn wir auch bald heim.‘
‚Was eßt ihr denn so?‘
‚Na, lauter gute Sachn!‘
‚Ja, schon klar, aber was denn so?‘
‚Das kennste doch dann eh wieder nich! Aber is voll legga und alles wunnerschön grün!‘
‚Ihr eßt nur grünes Essen?‘
‚Ja, sach ich doch grad!‘
‚Oh, na dann kann ich wirklich nicht mitkommen, ich mag nämlich kein grünes Essen…nur ab und zu mal ein paar frische Erbsen in der Suppe…‘
‚Wieso willstn weg?‘
‚Ich versteh mich gerade nicht so gut mit meinen Leuten, deswegen…‘
‚Ach weißte, das kenn ich. Das hatte ich auch mal, so mit 134, da konnt ich keinem was recht machen, alle ham nur auf mir rumgehackt und meine zwei kleinen ganz grünen Schwestern warn immer viel toller als ich. TOTAL ätzend!!! Aber glaub mir, das geht vorbei un dann….‘

Vom Waldrand her hörte Marc plötzlich Geräusche und jemand rief: ‚Modiglianifrihowoluweguiso, wo bist Du? Modiglianifrihowoluweguiso! Onkel Fritz sacht wir fahrn ohne Dich! Modiglianifrihowoluweguiso, wo bist Du? …. un wo bin ich?‘
‚Oh Mist, das is Ritschie, wenn ich da nicht gleich hinkomm, verläuft der sich im Wald un dann kriegt Onkel Fritz nen Anfall! Ich muss gehn, aber glaub mir mein felloser Freund: Daheim isses doch am besten!‘
Marc seufzte laut und merkte, daß er eigentlich gar nicht mehr weg wollte.
‚Kommst Du mich mal wieder besuchen Mo?‘
‚Na klaaaaa. Beim nächsten Mal bin ich dann auch dran mit Karte lesen, da geht weniger schief un wir ham länger Zeit.‘
‚Und wie weiß ich, daß Du hier bist?‘
‚Na, das merkste dann schon, wenns so weit is. Machs gut, lass Dir nix aufn Kopf fallen un denk ma an mich, wenn Du in den Sternenhimmel kuckst!‘
Mit diesen Worten verschwand Mo, erstaunlich behände für einen Alien mit extrem kurzen Beinen, im Gebüsch und Marc konnte ihn nicht mehr sehen.

Immer noch total überrascht von der ungewöhnlichen Begegnung schlich Marc leise zurück ins Haus.
Dort war alles still. Nichtmal der kleine Nervsack war aufgewacht.
Und mit dem Gedanken: ‚Ich habe in unserem Garten einen Alien getroffen, der Mo heißt, grünes Felll hat und der mich bald wieder besuchen kommt‘ schlief der verhinderte Ausreißer ein…

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Dieser Text ist für das Gemeinschaftsblogprojekt von Poe und mir entstanden. Das Thema war ‚Mach was…mit Aliens‘. Mo wurde durch das Bild am Ende dieses Posts inspiriert.

Gesamter Text © Herba für ‚Unkraut vergeht nicht…oder doch?‘
Bitte nicht ungefragt zitieren oder weiterverwenden!!!

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5 Antworten zu Der verhinderte Ausreißer

  1. suzy schreibt:

    Ritschie und grünes Essen, da poppt doch gerade was hoch 🙂 Sehr lustig, ich hatte es direkt vor Augen das Alien und den jungen Mann der stiften gehen will…

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  2. Herba schreibt:

    @Suzy: 😎 :mrgreen: 😀

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  3. Pingback: Gemeinschaftsblogprojekt ‘Mach was!’ – Ergebnis #13 und neues Thema | Unkraut vergeht nicht….oder doch?

  4. Servetus schreibt:

    Lustig!

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  5. Herba schreibt:

    @Serv: Danke! ALiens sind nicht gerade mein Spezielgebiet, daher mußte ich etwas improvisieren 🙂

    Gefällt 1 Person

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