Der kleine Junge und die Nymphe

Es war einmal ein kleiner Junge, der lebte mit seinen Eltern und seinen beiden Brüdern in einem kleinen Dorf.
Die Familie hatte ihr Auskommen und war zufrieden. Glücklich streifte der kleine Junge umher, beobachtete Vögel und anderes Wildgetier, alberte mit Freunden und seinen Brüdern herum und spielte den Nachbarn so manch lustigen Streich.
Als der kleine Junge sieben Jahre alt war, wurde sein Vater sehr krank und obwohl Medizin teuer war, tat die Familie alles, damit er bald wieder gesund sein würde. Warme Wickel, kalte Wickel, Pillen, Saft, Kräuter…all das half nicht und so konnten sie nur beten und das Beste hoffen.

Eines Tages, als der kleine Junge auf dem Weg war die Gänse der Familie zum dorf eigenen Gänsehirten zu bringen, der mit ihnen zum nahegelegenen Weiher marschieren würde, stolperte er über eine Wurzel und fiel in den Bach, der sich lustig durch das Dorf schlängelte.
Der Bach war nicht tief, aber der kleine Junge war klein und konnte nicht schwimmen und so mußte er kräftig kämpfen, um sicher zurück ans Ufer zu kommen.
Das Wasser rauschte in seinen Ohren, die Gänse am Ufer machten furchtbaren Krach und er fühlte sich schnell ganz erschöpft.
Plötzlich spürte er, wie jemand ihn bei den Händen nahm und vorsichtig aus dem Wasser zog. Schwer atmend lag er einen Moment am Ufer und versuchte neue Kraft zu schöpfen.

Als der kleine Junge halbwegs wieder zu Atem gekommen war, hob er den Blick und schaute sich nach seinem Retter um, doch er konnte niemanden sehen.
Erst als er sich aufsetzte bemerkte er die Frau, die im Wasser des Bach zu sitzen schien und ihn aufmerksam beobachtete.
Ihre Haut war weiß und fast durchscheinend, ihr Haar war zu einem lockeren Knoten auf dem Kopf aufgetürmt, von dem viele Haarsträhnen lose um ihren Kopf herumflossen und ihr Kleid schimmerte blau und grün und schien so flüssig, wie das Wasser im Bach.

„Wer bist Du?“ fragte der kleine Junge leise und verunsichert und schickte dann ein „Danke, daß Du mir geholfen hast!“ hinterher.
Die Frau, die weder richtig jung, noch richtig alt aussah, lächelte den kleinen Jungen an und antwortete mit melodischer Stimme:
„Gern geschehen junger Mann! Aber Du solltest wirklich besser aufpassen, auch das Wasser eines kleinen Bachs kann tückisch sein und beim nächsten Sturz ist vielleicht keine meines Stammes in der Nähe, die dir helfen kann!
Wo warst Du nur mit Deinen Gedanken?!“
Traurig senkte der kleine Junge den Blick. „Ich habe an meinen Vater gedacht. Er ist sehr krank und niemand kann ihm helfen…“
„So? Was hat er denn?“
„Das weiß niemand so genau. Er ist ganz schwach und wird einfach immer weniger.“
„Was würdest Du denn dafür tun, wenn ich ihm helfen könnte?“

Der kleine Junge sah die merkwürdige Frau erstaunt an und sagte dann voller Überzeugung:
„ALLES! Ich würde alles tun, damit er wieder gesund wird! Aber wer bist Du denn, daß Du mir helfen kannst?“
„Man nennt mich Aquaria, ich bin eine Wassernymphe und wenn ich will kann ich Wünsche erfüllen. Aber dafür sind große Opfer nötig. Bist Du dazu bereit?“
Forschend sah Aquaria den kleinen Jungen an, der nach wie vor beteuerte, daß es alles für die Gesundheit seines Vaters tun würde.

„Also gut. Ich kann Dir ansehen, daß Du große Sehnsucht nach der Ferne hast. Wie das Wasser dieses Baches würdest Du lieber heute als morgen Deinen Weg in unbekannte Welten fortsetzten und bis Du alt genug dafür bist, träumst Du von fremden Ländern und unbekannten Menschen.“
Überrascht sah der kleine Junge die Nymphe an. Wie konnte sie das wissen? Oft wurde er gescholten, weil er vor sich hin träumte und an ferne Länder dachte.
„Um Deinen Vater zu retten, musst Du schwören, daß Du niemals von hier fortgehst und für immer hier Wurzeln schlägst! Willst du das tun?“

Der kleine Junge schluckte schwer. Von hier fort zu gehen war sein größter Traum. Konnte er dieses Versprechen wirklich halten?
Er überlegte, aber als sich vor das Bild des weiten Meeres das Gesicht seines Vaters schob, war er sich sicher, daß er es konnte. Er mußte sich nur immer daran erinnern, daß er dieses Opfer für seinen Vater brachte.
Mit leiser Stimme sagte er: „Ja, das will ich!“
Daraufhin nahm ihn Aquariabei den Schultern, schaute ihm tief in die Augen und flüsterte Worte in einer Sprache, die der kleine Junge noch nie gehört hatte und auch nicht verstand.
Er konnte nicht sagen, ob eine Sekunde oder eine Stunde vergangen war, als die Nymphe ihn losließ.
Geh nun heim mein Junge und vergiess nie, was Du heute versprochen hast, sonst wirst Du es bereuen!!!“

Bis der kleine Junge sich unsicher aufgerappelt und seine Hose abgeklopft hatte, dauerte es ein kleines Weilchen und als er sich zum Bach umdrehte, war die merkwürdige Frau verschwunden.
Schnell machte er sich auf den Weg, um endlich die Gänse zum Gänsehirten zu bringen und er fragtesich ununterbrochen, ob er das alles geträumt hatte, denn er war gar nicht mehr nass, obwohl er doch in den Bach gefallen war.
Doch als er wenig später nach Hause kam, strahlten ihn lauter fröhliche Gesichter an.
„Sieh doch nur!“ sagte seine Mutter. „Dein Vater, er ist wieder ganz gesund! Es ist ein Wunder!“
Und tatsächlich, sein Vater war stark und gesund wie eh und je. Und auch wenn der kleine Junge so manche Nacht und so manchen Tag von weiten Meeren und fremden Welten träumte,so brach er doch nie das Versprechen, das er der Nymphe gegeben hatte!
Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute!

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Dieser Text ist für das Gemeinschaftsblogprojekt von Poe und mir entstanden. Das Thema war ‚Mach was…mit Märchen‘.

Gesamter Text © Herba für ‚Unkraut vergeht nicht…oder doch?‘
Bitte nicht ungefragt zitieren oder weiterverwenden!!!

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6 Antworten zu Der kleine Junge und die Nymphe

  1. suzy schreibt:

    Schön! Gefällt mir gut 🙂 Hart für den Jungen aber sein Vater war ihm wichtiger. Würden wir das auch tun? Ja, ich denke schon ❤

    Gefällt 1 Person

  2. Esther schreibt:

    Ah, schön! Etwas traurig für den Jungen aber er hat auch viel Glück!

    Gefällt 1 Person

  3. Die Poe schreibt:

    Schöööööööön!

    Gefällt 1 Person

  4. Pingback: Gemeinschaftsblogprojekt ‘Mach was!’ – Ergebnis #11 und neues Thema | Unkraut vergeht nicht….oder doch?

  5. Guylty schreibt:

    Very sweet 🙂

    Gefällt 1 Person

  6. Pingback: Grimm Tales: For Young and Old von Philip Pullman, gelesen von Samuel West | Unkraut vergeht nicht….oder doch?

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