Medea (National Theatre London live)

Gestern abend gab es im Kino meines Vertrauens mal wieder eine aktuelle Liveübertragung des ‚National Theatre London‚.
Gezeigt wurde dieses Mal ‚Medea‚ von Euripides und darum geht es:

Medea (Helen McCrory), die zauberkundige Königstochter aus Kolchis hat für ihre Liebe zu Jason (Danny Sapani) dem Argonauten ihren Vater verraten und ihren Bruder getötet. Nun lebt sie mit Jason und ihren beiden kleinen Söhnen (Joel McDermott und Jude Pearce) in Korinth im Exil, als Jason Medea verstößt, um die Tochter (Clemmie Sveaas) von Kreon (Martin Turner), des Königs von Korinth zu heiraten.
Tief getroffen von diesem Verrat sinnt Medea auf Rache…

Medea von Euripides stand irgendwann mal als Lektüre auf meinem Stundenplan.
Leider kann ich mich nur noch daran erinnern, daß ich das Stück interessant fand und gerne gelesen habe, aber von den Hintergrundinfos und den Diskussionen, die wir als Klasse damals darüber geführt haben, ist leider gar nichts in meinem Gehirn hängen geblieben.
Und leider war ich im Kino gestern abend dann so von meiner netten Begleitung abgelenkt (danke für das nette Gespräch Mädels, bei dem es ja schließlich auch um Mütter und Theater ging!), dass ich auch vom kurzen Einführungsfilmchen mit Interviews der Mitwirkenden am Stück, nur wenig mitbekommen habe.
Ich vermag also weder zu sagen, was sich die Regisseurin bei der Kulisse und den Kostümen gedacht hat, noch wie die Hauptdarstellerin zu Medea steht. Aber ich mochte den Hut, den Helen McCrory während des Interviews auf hatte…
Und eigentlich ist mir das auch gar nicht so wichtig, viel wichtiger ist mir der eigene Eindruck vom Stück und ob es irgendeine Saite in mir zum Klingen bringt.

Die Kulissen im National Theatre sind ja oft recht aufwendig, da wird auch gerne mal ein komplettes Haus auf der Bühne nachgebildet (wie für ‚A small Family Business‚) und auch für Medea wurde einiger Aufwand betrieben.
Im Vordergrund sieht man einen recht geräumigen Bühnenteil, der die Wohnung von Medea darstellt, mit Tisch und Sofa.
Im Hintergrund ist die Bühne dann zweigeteilt, wobei der untere Teil einen Wald darstellt und der obere Teil den Saal, in dem die Hochzeit von Jason mit der Königstochter zelebriert wird.
Die beiden Ebenen sind durch eine recht breite seitlich angebrachte Treppe verbunden, auf der sich die Schauspieler nach oben und nach unten bewegen.
Durch den kleinen Wald wirkte das Ganze irgendwie leicht mystisch auf mich und durch die Schatten der Baumstämme wurde mir schon früh ein leichtes Gefühl der Bedrohung vermittelt, denn im Wald tobt Medea nachdem Jason sie verstoßen hat und dort passiert dann auch, was sich von Anfang an andeutet.

Die Leistung von Helen McCrory als Medea hat mich wahnsinnig beeindruckt!
Dieses kleine, zierliche Persönchen fegt laut schreiend, weinend und wutschnaubend über die Bühne und schafft es dabei trotzdem jedes Gefühl, das ihre Figur durchlebt glaubhaft darzustellen und ihre Verzweiflung spürbar zu machen – auch über die Kinoleinwand.
Besonders berührt hat mich die Szene in der sie sich quasi schon entschieden hat, ihre beiden Söhne umzubringen und doch wieder anfängt zu hadern und zu zweifeln, das war ein wirklicher Gänsehautmoment, vor allem weil die starke Frau dabei plötzlich so zerbrechlich aussieht, als würde sie der nächste Windhauch davonpusten.

Danny Sapanis Jason entspricht ganz dem Klischee des alten Sack, der sich eine jüngere Frau angelacht hat, um sein Ego aufzupolieren und sich durch sie zu bereichern und der sich dabei noch einredet, dass er das alles letztendlich ja nur aus Liebe zu seiner Frau und seinen Kindern tut – nee Jason, is klar!
Wenn er Medea das alles auseinandersetzt und ihr auch noch großzügig Geld anbietet, damit sie nicht vollkommen mittellos dasteht, wenn sie schon nicht weiß wo sie hin soll, weil sie der König aus seiner Stadt weist, kann einen schon ein heiliger Zorn packen.
Jason war mir so unsympathisch, dass sich selbst zum Schluss als er quasi ein gebrochener Mann ist, mein Mitleid mit ihm in Grenzen hält.

Der Rest des Ensembles ist recht unauffällig was die schauspielerische Leistung angeht, gut besetzt, keine Ausfälle, aber eben auch nicht mehr, aber das gibt das Stück auch nicht wirklich her.

Gefreut habe ich mich über den kurzen Auftritt von Dominic Rowan als Aegeus, König von Athen, der Medea Zuflucht anbietet, wenn sie ihm dafür mit Hilfe ihrer Magie zu einem Erben verhilft.
Da ich Rowan total gerne sehe, weil er mich an einen anderen britischen Schauspieler erinnert, mit dem ich in am Anfang auch gerne mal verwechselt habe und ich ihn mittlerweile wirklich auch als eigenständigen Schauspieler ganz ohne Assoziation mit dem Kollegen ins Herz geschlossen habe, fand ich diese Überraschung für mich besonders gelungen und mußte schon sehr grinsen, weil auch er gerade Bart trägt.

Was mich über die gesamte Dauer des Stücks schwer irritiert hat war der für griechische Stücke so typische Chor und dessen Tanzeinlagen.
Die Frauen trugen geblühmte Kleider im Fünziger-Jahre-Stil und sahen ein bißchen aus wie die gruseligen Frauen aus dem Film ‚Die Frauen von Stepford‚.
Das allein wäre ja schon merkwürdig genug gewesen, aber die Tanzeinlagen, die die Damen aufs Parkett gelegt haben, fand ich noch gruseliger, vor allem das Gezucke und das hat mir das Stück auch ein klein wenig verleidet, wobei das eigentlich ein zu starkes Wort ist. Was sich die Verantwortlichen dabei gedacht haben, oder was sie damit zum Ausdruck bringen wollten, wüßte ich zu gerne!

Insgesamt war diese Inszenierung von ‚Medea‘ sehr interessant anzuschauen und hat mich persönlich auch nachdenklich gemacht, denn die Frage danach, was eine Mutter dazu bringt ihre Kinder zu töten, ist leider auch in unserer Zeit noch aktuell und die Diskussion, ob eine Mutter bei so einer Tat zwangsläufig psychisch gestört sein muss oder doch mit klarem Verstand handelen kann, irgendwie schon spannend.

Den Beitrag meiner Begleitung findet ihr hier

Die Seite des National Theatre zu ‚Medea‘

Der Trailer zur Inszenierung:

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8 Antworten zu Medea (National Theatre London live)

  1. franziska-t schreibt:

    Ich hab zwar das Stück leider nicht gesehen, aber ich musste in meinem ersten Semester Christa Wolfs Medea lesen und da geht es mehr um Medea und ihre Motive. Nur so als kleine Randbemerkung.

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  2. Herba schreibt:

    Danke für den Tipp, evtl werde ich mir das Buch mal genauer anschauen.

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  3. cRAmerry schreibt:

    Uhh, abgelenkt? Wie jetzt? 🙂
    Und genau, D. Rowan: die Ähnlichkeit (vor allem mit dem Bart!) war frappierend. Wollte es schon ansprechen, dich dann aber doch nicht in deiner kontemplativen Beobachtung stören. Aber so rein körperlich (da wären wir also schon wieder!) ist er mehr so die leichte couch-potato-Variante vom Original. Aber, ich fand ihn auch gut.
    Ja, wieso wurde da so vom Chor rumgezuckt? Hätten wir mal bloss am Anfang besser aufgepasst.

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  4. Herba schreibt:

    Die Story von Mama allein zu Haus hat mich beansprucht 😉
    Soso, das ist dir also auch aufgefallen 😀 Ja, er hatte ein leichtes Bäuclein, das man so bei RA noch nicht gesehen hat, aber der Mann ist, soweit ich weiß, auch Familienvater, da kommt sowas vielleicht mal eher vor, schießlich ist man ja eh vom Markt 😉
    Mir wäre ja gleich lieber gewesen, sie hätten gar nicht gezuckt, egal wieso!!!

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  5. Servetus schreibt:

    LOL über die Bekleidung des Chors 🙂

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  6. cRAmerry schreibt:

    Gaaanz gefährlich, sich darauf zu verlassen „vom Markt zu sein“ 🙂
    Wehret des Anfängen.
    Ich habe nochmal Bilder recherchiert: das ist ja das perfekte alter ego vom Original. Aber klar, gleiches Baujahr, gleiche Baureihe 😀

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  7. Herba schreibt:

    Das war eine sehr merkwürdige Mischung 🙂

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  8. Herba schreibt:

    …nur die Stimme ist nicht ganz so nett wie bei der Leicester-Ausführung 😉

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