Über den Dächern

Ich lag müde und entspannt zwischen den kühlen Laken. Eine warme Brise kam durch die offenen Fensterläden, die sich leicht knarrend bewegten.
Der volle Mond lugte zu mir herein und in der Gasse vor unserem Haus maunzte eine Katze ihr trauriges Lied.

Am Morgen würde Sophia, meine alte Amme, mit mir schimpfen, weil ich die Läden nicht geschlossen hatte und mich zum wohl hundertsten Mal vor den Gefahren durch den mysteriösen Fremden warnen, der seit einigen Wochen Siena unsicher machte.
Er schlich des Nachts über die Dächer und brach lautlos und ohne größere Spuren zu hinterlassen in die Häuser der vornehmen Siena’er Bürger ein.
Noch niemand hatten ihn zu Gesicht bekommen. Wie der Wind schien er zu kommen und auch wieder zu gehen.

Ich war zwar die Tochter eines der angesehensten und reichsten Bürger der Stadt, aber ich machte mir keine Sorgen wegen dieses Diebes. Schon eher beschäftigte mich, dass ich am nächsten Tag erfahren würde, was das Schicksal, aber vor allem mein Vater, für meine Zukunft vorgesehen hatte.
Seit Wochen erging er sich in Andeutungen und Halbsätzen, aber immer wenn ich versuchte ihm durch Schmeichelei und Nachfragen Näheres zu entlocken, wechselte er, als geschickter Anwalt, der er war das Thema und so konnte ich nur abwarten, was der nächste Tag mir bringen würde.

Ein leises Geräusch, das nicht in die Stille der Nacht passte, lies mich aufhorchen. Ich konnte es nicht einordnen, es hörte sich weder wie ein Karren an, der durch die Straßen fuhr, noch wie ein Reiter, der zu später Stunde noch unterwegs war.
Das machte mich neugierig und auf nackten Sohlen tapste ich zum Fenster und sah hinaus.
Im Mondschein konnte ich jedoch nichts Auffälliges entdecken.
Ich wollte mich schon umdrehen und zurück ins Bett gehen, als ich gegenüber auf dem Giebel von Signore Matteos Dach einen Schatten entdeckte, der sich behände und geschmeidig wie eine Katze bewegte.

Konnte das der von allen gefürchtete Dieb sein?

Eigentlich hätte ich nun Alarm schlagen sollen, damit er endlich gefasst wurde, aber irgendetwas lies mich zögern und gebannt schaute ich zu, wie die Gestalt in dunklem Kapuzenmantel und mit einer Maske vorm Gesicht durch das Fenster in das Haus unseres Nachbarn einbrach.

Nur wenige Minuten später erschien der Dieb wieder am Fenster und schwang sich lautlos zurück auf das Fensterbrett. Ich erkannte nun große, elegante Hände, die sich geschickt festhielten und einen langen Dolch, der in seinem Gürtel steckte. Sein Haar war unter der Kapuze des Mantels versteckt.

Ich hatte keinen Laut von mir gegeben. Vielleicht hatte ihn mein Starren aufmerksam werden lassen.
Langsam drehte er sich zu mir um und über die Distanz der schmalen Gasse zwischen den beiden Häusern fiel sein Blick auf mich.
Durch die Maske fixierten mich zwei eisblaue Augen und ich meinte darin zu ertrinken.

Dann erklang von irgendwo her der Ruf eines Uhus und erschreckt fuhren wir beide zusammen.
Ich konnte noch sehen wie sich die Mundwinkel des Fremden zu einem Lächeln verzogen und er eine kurze Verbeugung andeutete. Dann schwang er sich auch schon elegant zurück auf das Dach und verschwand lautlos im herauf dämmernden Morgen ohne sich noch einmal umzudrehen…

* * * * * * * * * * * * * * * * *

Diesen Text habe ich schon vor Längerem geschrieben.
Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind rein zufällig und absolut unbeabsichtigt!
Gesamter Text © Herba für ‚Unkraut vergeht nicht…oder doch?‘
Bitte nicht ungefragt zitieren oder weiterverwenden!!!

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19 Antworten zu Über den Dächern

  1. Cat Crawfield schreibt:

    Oh… wie romantisch! Sowas könntest du gerne öfter veröffentlichen 🙂 *knuff*

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  2. nell schreibt:

    Uii, ich hätte da aber meine Assoziation … Sehr schön! 🙂 *KopfkinoInGangGesetzt*

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  3. fleischfee schreibt:

    Wow, toll! Warum machst Du nicht eine Serie daraus?

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  4. utepirat schreibt:

    Ja, wo bleibt die Fortsetzung? Und natürlich sind Ähnlichkeiten mit lebenden Personen beabsichtigt!:)

    Danke, Herba

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  5. Herba schreibt:

    Danke für die Blumen :*
    Wenn ich Zeit und Muse hätte sowas öfter zu schreiben, würde ich sowas auch öfter veröffentlichen 😉

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  6. Herba schreibt:

    Freut mich, wenn die kleine Episode Dein Kopfkino in Gang setzt 🙂

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  7. Herba schreibt:

    Ich habe mich an einer Fortsetzung versucht, aber die wollte mir nicht gelingen, leider

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  8. Herba schreibt:

    Die Fortsetzung klang zu sehr nach Zorro, darum gibts keine.
    Psssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssst, nicht verraten 😉

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  9. diepoe schreibt:

    Ich mag, was du schreibst!

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  10. Herba schreibt:

    Dank Dir!

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  11. utepirat schreibt:

    Mal sehen, welche Fantasien mich dann heute nacht beflügeln werden (RA als Zorro? Die Serie, Film und was auch immer hab ich als Kind geliebt, als ich noch nicht diese „naughty“ Hintergedanken hatte)…

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  12. fleischfee schreibt:

    Schreibblockade? Muss ja nicht sofort sein! Lass Dich inspirieren und mach doch dann weiter wenn es flutscht! 😉

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  13. Herba schreibt:

    Och Zorro mit naughty Hintergedanken ist sicher auch sehr schön 😉 Ich hoffe Du hattest heute Nacht schöne Träume!?!

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  14. Herba schreibt:

    Nein, so würde ich das nicht nennen, eher Verlust des Interesse am ursprünglichen Objekt der Inspiration – das macht es nicht ganz einfach weiterzuschreiben. Und manche geschichten von mir wollen einfach scheinbar nicht aufs Papier und hängen in Dauerschleife in meinem Kopf fest *seufz*

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  15. fleischfee schreibt:

    Diktiergerät?

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  16. Herba schreibt:

    Das wäre eine Maßnahme 🙂

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  17. fleischfee schreibt:

    Find ich auch! 😉

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  18. Servetus schreibt:

    Eisblaue Augen. Yum.

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  19. Herba schreibt:

    Yup 🙂

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